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„Drei Schritte zu dir“ – Die Liebe siegt über die Angst

18.07.2019

Mittwoch. 38 Grad. Mittags. Es ist heiß in Köln. Ein guter Anlass, der Hitze zu entfliehen und endlich ins klimatisierte Kino zu gehen. Dort war ich. Allein – mit sechs weiteren Kinobesuchern. Eine spärliche Kulisse, aber ein bewegender Film.

Zwei Menschen verlieben sich. Beide haben CF mit eingeschränkter Lungenfunktion (Lufu 30%, wie im Buch) – das Sauerstoffgerät als ständiger Begleiter. Und doch ist die Stimmung irgendwie heiter. Beide haben ihre CF weitgehend akzeptiert. Sie gehen auf Station, wie andere in Urlaub fahren (Stellas Freundinnen tun dies tatsächlich). Ein zweites Zuhause. Moderne Kommunikation per Videochat lässt Menschen nah sein, die sich nicht nah sein dürfen oder können.

Aber mit einer Romanze rechnet man nun nicht im Krankenhaus, so drückt es Poe, CF-ler, der homosexuelle Freund von Stella aus. Will, Typ James Dean, lebenslustig und locker, ein genialer Comic-Zeichner, trifft auf Stella, ein Typ wie Adrian Monk, kontrolliert, diszipliniert – mit einer Master-Liste und einer To-do- Liste. Gegensätze ziehen sich an. Und ja, mir fielen spontan etliche Wills und Stellas unter uns CF-lern ein (was ich bin, verrate ich hier nicht😊).

Aus Distanz wird interessierte Begegnung, aus Begegnung wird Nähe, aus Nähe wird Liebe. Liebe verändert. Stella erreicht, was kein Therapeut erreicht hat: Will macht Sport und nimmt sogar Tabletten. Und Will erreicht, was niemand vorher erreichte: Stella wird lockerer. „Jeder Atemzug ist ein Geschenk“ – dieser Satz von Will am Anfang des Filmes könnte auch von Stella am Ende des Filmes stammen. Aber zunächst folgt die langsame Annäherung. Ein Date in der Krankenhaushalle, aus Hygienegründen (Will hat Burkholderia Cepacia) vier Schritte getrennt. Später dann im Schwimmbad.

Drei Schritte zu dir_19_7Wie kann man sich küssen, ohne sich zu küssen? Die weiteren Dates zeigen dies. An Intensität kaum zu überbieten. Und auch an Traurigkeit: Hygiene trennt Menschen – im Krankenhaus auf Station medizinisch nachvollziehbar, aber auch im richtigen Leben? Poe drückt es treffend aus: „Diese Krankheit ist wie eine Einzelzelle“. Aber wer will sich einsperren lassen und so alle Lebensfreude verlieren? Zum Schluss stirbt man an Einsamkeit und nicht an CF, so dachte ich spontan. Jeder muss seinen Weg finden. Stella findet ihn und Will auch. Es gibt rührende Szenen. Wie Stellas Geburtstagsgeschenk, wie  Eiersuche an Ostern, nur diesmal nach lila Ballons. Will weckt die kreative Seite in Stella. Und Stella in ihm die ernsthafte.

Die Feier zu Wills Geburtstag wird ein weiterer Höhepunkt. Nachts in einem Raum in der Krankenhauslobby. Die Überraschung gelingt.

Und dann der Schock: Poe stirbt. Stella und Will sind verzweifelt. Stella zu Tränen gerührt: „Ich habe ihn nie umarmt“. Immer schön Abstand gehalten – lehrbuchmäßig. Und vielleicht das Wichtigste verpasst? Berührungen. Innere und äußere.

Verpasst, was das Leben ausmacht. Wer weiß.

Die Grenze des Lebens vor Augen und im Blick auf das wirklich Wesentliche überschreiten beide nun Grenzen:

Die eigentlich so sachlich-rationale Stella will Sterne sehen (ein schönes Wortspiel: Stella – lateinisch: der Stern). Und Will begleitet sie. Will zeigt nun Will(e). Nun ist er der vernünftige Part. Zu Fuß? Warum nicht Taxi? Beide mit Sauerstoffgerät? Muss das überhaupt sein? Stella setzt sich durch. Sehr authentisch. Wir CF-ler sind eben manchmal verrückt, wir sind mal Monk und mal James Dean. Das Sterneschauen und Händchenhalten (mit Handschuh) – Zeichen ihrer Liebe. Der Film könnte nun zu Ende sein.

Denn was folgt, ist so hektisch gedreht und in der Dichtheit (fast) unglaubwürdig:

Stella erhält die Nachricht über ein Organ, welches für sie bereit liegt ist, ertrinkt fast, wird schließlich wiederbelebt durch Wills Mund-zu-Mund-Beatmung – hier geschieht sie. Küsse einmal anders. Wird dann transplantiert. Im „Schweinsgalopp“ jagt ein existentielles Ereignis das andere. Will ermutigt kurz vor der OP Stella, sich transplantieren zu lassen. Ihm zuliebe. Und Stella folgt – aus Liebe. Zugleich erhält Will die Nachricht, dass seine Therapie gegen Cepacia nicht anschlägt. Als Zuschauer kann man dem Tempo der Erzählung kaum mehr folgen (ich hoffe, mir ist dies gelungen). Die Schlussszene ist berührend.

Was bleibt? Ein dichter Film. Eine Liebe, die eigentlich nicht sein darf. Aus ihren„Einzelzellen“ finden beide Protagonisten heraus und bereichern sich, wie dies in Partnerschaften mit und ohne CF oft der Fall ist. Fast wünschte man beiden, dass sie die Hygieneangst völlig überwinden und sich küssen, nicht erst bei der Wiederbelebung. Die Liebe siegt über die Angst.

Es ist im Film so wie im richtigen Leben. Der Austausch zwischen CF-lern ist immer bereichernd. Das wortlose Verstehen. Und so wundert es mich nicht, dass es CF-Paare gibt. Und das freut mich.

Thomas Malenke (53, CF)

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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