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Jeder wusste, ich habe es an der Lunge. Aber mehr wusste niemand

Als passionierter Motorradfahrer ließ sich Jürgen Krämer jahrzehntelang durch seine Mukoviszidose nicht ausbremsen. Aufgrund einer sehr leichten Symptomatik, spielten Therapie-Treue, Gesundheitsvorsorge oder ausgewogene Ernährung im Leben des gelernten Heizungsbauers keine große Rolle. Bis ihn die Krankheit mit 46 Jahren dann doch einholte.

Als bei meiner Geburt 1968 Mukoviszidose bei mir diagnostiziert wurde, erhielten meine Eltern eine Lebenserwartung von ca. 14 Jahren für mich vorhergesagt. Meine Kindheit verlief jedoch symptomlos, ich wuchs ohne jegliche Einschränkung auf. Gelegentliche Schweißtests in der Kinderambulanz Neuwied bestätigten weiterhin die Diagnose. Da ich weder als Kind noch als Jugendlicher sportliche Ambitionen hatte, an denen mögliche Einschränkungen seitens der Lunge hätten festgestellt werden können, blieb ich gefühlt unbeeinträchtigt. Inhalationen oder gar Physiotherapie kannte ich nicht. Kitabesuch und anschließende Schulausbildung verliefen bei mir völlig normal. Da Gesundheitsvorsorge in den 70er- und 80er-Jahren selten im Fokus stand, sahen meine Eltern aufgrund meiner stabilen Gesamtkonstitution keinerlei Veranlassung für eine Therapie oder gar Kurmaßnahme.

Motorradfahren ist Jürgens Leidenschaft.
Motorradfahren ist Jürgens Leidenschaft.

Unauffälliger Einstieg ins Erwerbsleben

Im Alter von 16 Jahren absolvierte ich eine handwerkliche Ausbildung zum Heizungsbauer, Fachrichtung Klima- und Lüftungstechnik — aus heutiger Sicht nicht die beste Entscheidung, da Arbeiten in sehr staubigen Rohbauten, auf Dächern oder in feuchten Kellern, dazu Zugluft und ständig körperliche Höchstbelastungen dieses Berufsbild prägen. Trotz meiner Krankheit konnte ich diesen Beruf über 30 Jahre lang aktiv ausüben.

Mit Erreichen der Volljährigkeit wurde ich von der Kinderambulanz zu meinem Hausarzt überwiesen, der meine Behandlung im Bedarfsfall übernehmen sollte. Eine weitere Behandlung in einem spezialisierten Zentrum fand nicht statt. Rückblickend betrachtet, hätte ich mir zu diesem Zeitpunkt in den 80er-Jahren eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit über die Krankheit und eine damit einhergehende laienhafte medizinische Aufklärung gewünscht. So kam es, wie es kam: Ab diesem Zeitpunkt verlor ich die Bedeutung der lebenswichtigen Therapie vollends aus dem Blickfeld — bis zu meinem 46. Lebensjahr.

Motorradfahren als Therapieersatz

Bis dahin galt mein Interesse von Kindesbeinen an meinen Mofas und Motorrädern, die mir (wie man heute vermutet) eine Art physiotherapeutische Behandlung gaben. Die feinen Vibrationen der Motoren lösten wohl den Schleim im Körper vergleichbar mit einer Klopfmassage oder den Vibrationsplatten in Physiotherapie-Praxen. Dadurch habe ich, völlig unbewusst, die schleimbildenden Sekrete abhusten können. Ein Garant dafür, dass ich für einen so langen Zeitraum ein beschwerdefreies Leben führen konnte.

2014 kam dann der Wendepunkt. Über mehrere Wochen ging es mir immer schlechter, sodass ich mich zum Schluss kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Meine Haut war so grau, dass Freunde sagten: „Den Joschi sehen wir nicht mehr lange unter uns“. Trotzdem dauerte es noch ein paar Tage, bis ich ins Krankenhaus ging. Im Krankenhaus wurde dann mein Leben gerettet, indem der festsitzende Schleim aus meiner Lunge zweimal abgesaugt wurde. Zudem wurden bei mir ein Antibiotika-resistenter Keim in der Lunge sowie Diabetes festgestellt. Von einem auf den anderen Moment befand sich mein Körper nun im Zucker-Chaos. Ich musste mich mit meiner Ernährung auseinandersetzen, worauf ich bis dahin nie geachtet hatte. Warum auch?

Mangelndes Wissen über Mukoviszidose führte zu Behandlungsfehlern

Anderthalb Jahre nach diesem schweren gesundheitlichen Schlag nahm ich meinen Alltag wieder auf. Meinen Beruf musste ich aufgeben, da mir meine Stelle während der Krankheitsphase gekündigt worden war. Ich musste mich neu orientieren. Eine berufliche Vollzeitbelastung war nicht mehr möglich, aber um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war ich gezwungen, noch eine 25-Stunden-Arbeitswoche zu absolvieren.

Ärztlich wurde ich in den darauffolgenden Jahren eher schlecht als recht begleitet. In meinem medizinischen Umfeld wusste niemand mit Mukoviszidose etwas anzufangen. Beim Lungenfacharzt bekam ich neben der Bestätigung der Mukoviszidose-Diagnose zusätzlich den lapidaren „Stempel“ COPD-Patient aufgedrückt und wurde auch als solcher behandelt. So bekam ich Pulver zur Inhalation und Medikamente gegen meine gelegentlichen Magenprobleme verschrieben. Ich selbst habe im Freundes- und Bekanntenkreis immer nur von COPD gesprochen, weil dann keine großen Rückfragen kamen. Jeder wusste, ich habe es an der Lunge. Aber mehr wusste niemand. Hätte ich damals eine fürsorgliche Mukoviszidose-Ambulanz in meiner Nähe als Anlaufstelle gehabt, wäre ich ganz sicher viel früher dorthin gefahren. Aber so?

Meine Partnerin gab den Anstoß, das Leben wieder in die Hand zu nehmen

Jürgens Lebensgefährtin Ingrid gab den Anstoß, sich wieder mehr um die Gesundheit zu kümmern.
Jürgens Lebensgefährtin Ingrid gab den Anstoß, sich wieder mehr um die Gesundheit zu kümmern.

2019 lernte ich meine Freundin Ingrid kennen, eine unternehmungslustige Naturliebhaberin und, wie ich, Motorrad-Fahrerin. Biker-Touren standen oft auf dem Programm, aber sie wollte eben auch mal eine kleine Wanderung machen. Hier stieß ich schnell an meine Grenzen. Nach knapp einem Kilometer war Schluss, mehr schaffte ich einfach nicht. Nun ist meine Partnerin recht fürsorglich und hat sich hartnäckig auf die Suche nach medizinischer Hilfe für mich gemacht. Wir stellten einen Kur-Antrag, den ersten in meinem Leben. Beim Zusammenstellen der Unterlagen fand sie die Diagnose Mukoviszidose, die ihr zum damaligen Zeitpunkt völlig unbekannt war. Was ist das? Was bedeutet das und welche Heilungsmöglichkeiten gibt es? Tausend und eine Frage, die auf eine Antwort warteten.

Webseite des Mukoviszidose e.V. half bei der Suche nach CF-Ambulanz

Bei unserer Recherche im Internet stießen wir auf die Internet-Präsenz des Mukoviszidose e.V., auf der wir viele hilfreiche Informationen zur Krankheit fanden. Es war erstmal ein ziemlicher Schock für mich, mit Fakten zur Lebenserwartung, Krisen- und Notfallsituationen sowie Folge-Erkrankungen konfrontiert zu werden. Doch es keimte auch Hoffnung in mir auf, als ich über die Suchfunktion auf die Adressen der Mukoviszidose-Ambulanzen stieß. In Köln sollte so ein Zentrum sein, dass Hilfe in meinem Fall verspreche. Sofort nahm Ingrid telefonischen Kontakt auf. Die Leiterin der CF-Ambulanz war sich zunächst nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Fall von Mukoviszidose handele, da auch die COPD-Diagnose widersprüchlich im Raum stand. Dennoch versprach sie umgehend Hilfe und wir vereinbarten für 2020 einen ersten Termin in der Mukoviszidose-Ambulanz für Erwachsene. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 52 Jahre alt!

Von diesem Zeitpunkt fing ich an, meine Krankheit besser zu verstehen und lernte sie als einen Teil meines Lebens zu akzeptieren. Durch die Ärztin und ihr Team wurde ich während dieses Prozesses begleitet und bei der Planung der täglichen Therapie unterstützt. Ich fing an zu inhalieren, es ging etwas bergauf. Glücklicherweise kam ich recht schnell in den Genuss des damals neuen CFTR-Modulators Kaftrio/Kalydeco, wodurch sich meine gesundheitliche Situation immens verbesserte. Währenddessen las sich meine Freundin immer weiter in die Krankheitsthematik ein. Der Mukoviszidose e.V. war uns bei dabei entstehenden Fragen stets ein wichtiger Ansprechpartner und ist seit dieser Zeit ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden.

Teilnahme an Klimamaßnahmen sehr lehrreich

Jürgen hat mit seiner Lebensgefährtin Ingrid an den Klimamaßnahmen nach Gran Canaria teilgenommen.
Jürgen hat mit seiner Lebensgefährtin Ingrid an den Klimamaßnahmen nach Gran Canaria teilgenommen.

Durch den Verein erfuhren wir immer wieder neue Lichtblicke. So hatten wir durch die Geschichten ehemaliger Teilnehmenden von den Klimamaßnahmen gehört, die der Mukoviszidose e.V. aus Spendengeldern finanziert. Da ich Ende 2021 bereits eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezog, hätte ich mir eine Reise in ein die Gesundheit stabilisierendes Klima wie auf Gran Canaria nicht leisten können. Wir trauten uns und bewarben uns für die Maßnahme im Januar 2022 und durften tatsächlich teilnehmen! Es war ein Segen für meine gesundheitliche Situation, aber auch eine wirkliche Herausforderung für uns als Paar. Plötzlich gab es andere Erkrankte, das Thema Mukoviszidose, welches ich jahrzehntelang gekonnt ignoriert hatte, war plötzlich täglich präsent wie nie. Dazu jeden Tag Sport, Ernährungsberatung, Gespräche über die Krankheit, Einsichten, Ängste. Es war für mich keine einfache Zeit, aber sehr lehrreich. Ich habe viel von den anderen Patienten mitgenommen und eingesehen, wie wichtig gesundheitliche Vorsorge und tägliche Bewegung sind. Auch wenn ich dies erst mit über 50 gelernt habe, so ist es doch nie zu spät. Mittlerweile schaffen wir Wanderungen, die anstatt einem Kilometer wie in 2019 nun gerne auch mal zwölf Kilometer lang sein dürfen.

Heute sind Jürgen und Ingrid viel mit dem E-Bike unterwegs.
Heute sind Jürgen und Ingrid viel mit dem E-Bike unterwegs.

Bei den Klimamaßnahmen lernten wir zum ersten Mal die Vorteile von E-Bikes kennen. Niemals wäre ich vorher mit dem Rad gefahren, viel zu groß war die Angst, nicht genug Luft für den Heimweg zu haben. Aber durch den Akku am Rad wurde mir diese Angst genommen. Dank des Unterstützungsfonds des Mukoviszidose e.V. konnte ich mir ein solches Rad anschaffen; meine Lebenspartnerin erhielt ein Jobbike über ihren Arbeitgeber. Heute sind wir oft mit unseren E-Bikes unterwegs und genießen diese gemeinsame Zeit der Bewegung, die uns beiden sehr gut tut.

Mukoviszidose ist eine sehr seltene Erkrankung, die bei Ärzten, das zeigt meine Geschichte, sowie Entscheidern im Gesundheitssystem häufig nicht präsent ist. Daher ist es zwingend notwendig, Aufklärung zu betreiben, so wie es der Mukoviszidose e.V. tut. Denn Mukoviszidose ist zwar unheilbar, kann aber häufig gut behandelt werden. Diese Erfahrung sowie die Erkenntnis, was medizinische Forschung alles zu leisten vermag, hat mein Leben verbessert. Ohne die Unterstützung durch meine Freundin und den Mukoviszidose e.V. wäre ich heute gesundheitlich ganz sicher nicht da, wo ich zurzeit bin!

Jürgen Krämer

Mehr zu den Klimamaßnahmen des Mukoviszidose e.V.

Mehr zum Unterstützungsfonds

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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