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Meine CF-Geschichte: „Mein ganz persönliches Geheimnis ist das Tanzen“

Im Mukoviszidose Monat Mai möchten wir Mukoviszidose bekannter machen und zeigen, wie das Leben mit der Krankheit wirklich ist. Im Rahmen unserer Aktion „Erzähl Deine CF-Geschichte“ erzählt daher heute Simona von ihrem Leben mit CF. Sie ist 55 Jahre alt und hat sich von der Erkrankung nie unterkriegen lassen. Stattdessen geht sie mit großer Freude ihrer großen Leidenschaft nach: dem Tanzen.

Wie alles anfing

Simona erzählt aus ihrem Leben mit CF.
Simona erzählt aus ihrem Leben mit CF.

Im Januar 1967 kam ich, Simona Köhler, in Pinneberg zur Welt. Aufgewachsen bin ich in einem benachbarten Dorf. Meine Schwester wurde knapp zwei Jahre später geboren.

Recht schnell fielen bei mir die andauernden Durchfälle auf (die Muko-typisch öligen, nach fauligen Orangen „duftenden“). Mein Bauch war immer aufgebläht und obwohl ich viel aß, nahm ich nicht richtig zu. Gedeihstörungen nannte man das damals. Außerdem erinnere ich mich schon früh an heftigste, ständig wiederkehrende Bauchkrämpfe. Nach einer längeren Ärzte- und Krankenhausodyssee wurde nach einer ersten Fehldiagnose Zöliakie die Diagnose Mukoviszidose mittels Schweißtest gestellt. Da war ich fünf Jahre alt. Bei meiner Schwester fiel er zum Glück negativ aus.

Danach durfte ich nur noch fettarme Sachen essen und musste dazu riesige weiße Tabletten (Pankreon forte) schlucken. Ich verdaute meine Nahrung jetzt etwas besser, aber heftigste Bauchkrämpfe und Durchfälle blieben mir erhalten. Dadurch war ich bis zum frühen Erwachsenenalter immer extrem schlank. Zum Glück wurde später Kreon erfunden, was mir ein beinahe normales Essen ermöglichte. Im Krankenhaus lernten meine Eltern die Klopftherapie, obwohl ich damals nur wenig Schleim in den Lungen hatte, aber umso mehr Reizhusten. Insofern verweigerte ich immer wieder diese Klopferei, denn das reizte meinen Husten zusätzlich. Die Inhaliererei machte mir keinen Spaß und so sabotierte ich auch diese erfolgreich.

Viel lieber butscherte ich draußen herum, grub im Matsch, sprang in Pfützen, badete im Natursee, buddelte mit meiner Oma im Garten herum, spielte mit den anderen Kindern auf der Straße, fuhr Fahrrad, bretterte mit meinen Rollschuhen durch die Gegend, im Winter mit Schlittschuhen auf dem zugefrorenen See, rannte und sprang auf dem Rasen herum und liebte es, im Sportverein alle möglichen Sparten auszuprobieren. Am Anfang Mutter- und Kindturnen, dann Kinderturnen, Tischtennis, Volleyball und Jazztanz. Hauptsache, ich war in Bewegung – still sitzen war nie so meins.

Keine Käseglocke über mir

Schon aus reiner Unkenntnis (auch bei den Ärzten) konnte ich relativ frei aufwachsen. Keine Keimdiskussionen, keine Händedesinfektionen, normaler Hausputz, keine übertriebene Rücksichtnahme, kein extra Schulklo für mich, kurz, ich konnte fast all das machen, was die anderen Kinder auch durften.

Meine Eltern haben mich nicht vom Schulsport befreit (das war damals durchaus üblich), sie haben die Ansage der Ärzte, dass ich höchsten zwischen 8 bis 12 Jahre alt werde, mehr oder weniger ignoriert und mir so viel Normalität ermöglicht, wie machbar war. Ich durfte schon früh in Diskotheken, ins Kino und sonst wo hingehen. Meinen ersten richtigen Freund, späteren Ehemann, noch späteren Ex-Ehemann, akzeptierten sie. Sie unterstützten mich dabei, dass ich mit 20 Jahren von zu Hause auszog, obwohl ich mit 18 Jahren zusätzlich am CF-Diabetes erkrankte. Mit anderen Worten, sie packten mich nicht in Watte und haben mich mein eigenes Leben entdecken lassen. Für dieses Vertrauen und für den gelungenen Abnabelungsprozess bin ich ihnen noch heute dankbar.

Die über die Grenzen Seglerin

Nach dem Auszug bei meinen Eltern entdeckte ich meine Tanzleidenschaft in einem Ballettstudio. Beinahe täglich traf man mich dort an. Ballett, Jazztanz, Stepptanz, Musical-Dance und Fitnessgymnastik. Mit der Musical-Dance-Gruppe folgten schon bald regelmäßige Auftritte auf unterschiedlichsten Festen. Das war genau meine Welt. Davon wollte ich mehr. Tanzen, mich spüren, meine Kreativität ausleben. Ich nahm an einem Ballettsommer in Bozen teil – zwei Wochen nur tanzen und feststellen, dass dort überwiegend angehende Profitänzer*innen anzutreffen waren, die mich erstaunlicherweise auch für eine hielten. Was für eine Bestätigung. Aber eine Tänzerinnen-Karriere mit Mukoviszidose? Ziemlich verrückte Vorstellung. 

Bis meine damalige Ballettlehrerin sagte, ich könnte ja stattdessen auch Tanzpädagogin werden und sie hatte auch gleich eine passende Adresse parat. Ich rief dort an, habe einen Termin für das Vortanzen bekommen, die Aufnahmeprüfung erfolgreich bestanden und damit die Möglichkeit erhalten, eine dreijährige Vollzeitausbildung zur Tanzpädagogin zu machen. Ehe ich es mir wieder anders überlegen konnte, habe ich mich von meinem Job in der Hamburger Verwaltung für drei Jahre unentgeltlich beurlauben lassen, zeitgleich die Scheidung eingereicht (es lief schon lange nicht mehr gut) und tatsächlich die Ausbildung zur Tanzpädagogin begonnen. Da war ich 26 Jahre alt. Ich habe der Schulleitung allerdings nie von meiner Mukoviszidose erzählt, nur vom Diabetes. Meine Angst, dass ich wegen Muko die Ausbildung dann doch nicht machen dürfte, war zu groß. Jeden Tag rund fünf bis sechs Stunden tanzen, nebenbei jobben – nach drei Jahren habe ich die Ausbildung sehr erfolgreich abgeschlossen. Noch heute kann ich es manchmal kaum glauben, wie ich das alles mit Muko geschafft habe. Danach bin ich wieder halbtags in die Behörde zurückgekehrt und habe die andere Hälfte Tanz unterrichtet. Ich lebte meinen Traum rund zwei Jahre lang. Dann machte meine Muko eine Vollbremsung mit mir. Munter war ich über meine Grenzen gesegelt und dabei ganz vergessen, dass ich ja auch noch Mukoviszidose habe. Nichts ging mehr, ich musste wieder ganztags in die Behörde zurück und das Tanzunterrichten aufgeben. Aber nicht das Tanzen, ich tanze noch heute regelmäßig drei bis vier Stunden in der Woche.  

Trotz dieser Bruchlandung würde ich alles wieder ganz genauso machen, denn wenn ich nicht weiß, wo meine Grenzen sind, kann ich auch nicht wissen, wie weit ich gehen kann. Ich habe nichts bereut und umso mehr genossen.        

Neue Ziele suchen

In der Behörde gab es die Möglichkeit, ein Aufstiegsstudium zu machen, dass heißt, am Ende vom mittleren in den gehobenen Dienst zu wechseln. Tatsächlich konnte ich nach dem bestandenen Assessment-Center einen der wenigen Studienplätze ergattern und ein dreijähriges Vollzeitstudium mit Weiterbezahlung meiner Vergütung machen. Da war ich 36 Jahre alt. Ich bestand die Prüfungen, stieg damit in den gehobenen Dienst auf und wurde sogar noch verbeamtet. Kurz vor dem Studium habe ich meine ganz große Liebe Axel getroffen, ich bin nun seit fast 14 Jahren mit ihm glücklich verheiratet und er unterstützt mich bei all meinen verrückten Ideen, Wünschen oder Vorhaben. Nur Kinder sind uns leider nicht vergönnt gewesen. In der Zwischenzeit arbeite ich in der Hamburger Kulturbehörde und bin ausgesprochen zufrieden mit diesem Behördenjob. Dadurch, dass ich einen Teil der Arbeit im Home-Office erledigen kann, ist es mir immer noch möglich, in Vollzeit zu arbeiten.

Und was ist eigentlich mit meiner Mukoviszidose?

Meine Lungenfunktion ist bis heute ziemlich stabil geblieben (durchschnittlicher FEV1-Wert von 100%) und ich denke, dass meine sportlichen Aktivitäten daran ihren Anteil haben.  Pseudomonas habe ich seit meinem 18. Lebensjahr chronisch, zeitweilig mit MRGN 3 oder 4, aber sie haben in meinen Lungen bisher keinen großen Schaden angerichtet. Ich habe den Schleim einfach weg getanzt. Meine Diabeteseinstellung bleibt eine Herausforderung. Hinzugekommen sind eine Hochtonschwerhörigkeit (schicke Hörgeräte beidseitig seit rund 18 Jahren), Gelenk- und Muskelschmerzen, chronischer, teils sehr heftiger Reizhusten, beginnende Osteoporose und altersbedingte Dinge wie Wechseljahrs-Beschwerden (fiese Hitzewallungen seit rund fünf Jahren und noch fiesere Hormonschwankungen).

Zum Glück habe ich bisher immer Muko-Ärzte/Behandler gehabt, die mir nie eine Therapie „aufzwangen“, ich konnte immer mit ihnen darüber reden bzw. verhandeln. Dafür bin ich sehr dankbar. Bis heute mache ich nur dass, was wirklich notwendig ist, dass dann aber sehr diszipliniert und konsequent. Mit meiner Delta 508 homozygot-Genvariante profitiere ich seit einem Jahr auch von Kaftrio/Kalydeco, habe seit dem keinen nachweisbaren Pseudomonas mehr, mein HBA1 C-Diabetes-Langzeitwert ist von rund 8,5 auf rund 6,5 gesunken, auch sonst geht es mir damit insgesamt besser und ich fühle mich stabiler.

Wie bin ich mit Mukoviszidose so alt geworden? Was ist mein Geheimnis? 

Für mich war und ist es extrem wichtig, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Therapieaufwand und dem Leben als solchem herzustellen. Denn ich mache das alles ja nur deshalb so diszipliniert, damit ich möglichst viel von meinem Leben habe.

Im Laufe meines langen Muko-Lebens habe ich ein sehr gutes Körpergefühl entwickelt. Ich höre auf meinen Körper und was er mir zu sagen hat und reagiere entsprechend. Oft weiß ich schon vorher, dass irgendetwas nicht stimmt, bevor es dann der Arzt festgestellt.

Insgesamt habe ich für mich die Erfahrung gemacht, dass ich mir vertrauen und vieles zutrauen kann. Insofern, während ich schon dabei bin, meine Wünsche oder Ziele in die Tat umzusetzen, reden andere Menschen noch davon.

Das hat natürlich auch mit Mut zu tun. Mutig habe ich immer wieder neue Entscheidungen getroffen, mutig meine Grenzen ausgelotet, mutig meine Meinung gesagt, auch wenn sie möglicherweise unbequem war.  

Mein ganz persönliches Geheimnis ist das Tanzen. Durch den Tanz konnte ich mich aus meinen eigenen Zwängen nach und nach befreien, ich konnte mich und meine tatsächlichen Bedürfnisse dadurch gut spüren, ich bin aufgebrochen in ein freieres Leben und ich habe die Vorstellungen anderer, wie man als Kranke zu leben hat, hinter mir gelassen. Denn das Leben ist viel zu kurz, um es nicht großzügig zu genießen.

Ich möchte mit meinem Lieblingszitat von Vivian Greene zum Ende kommen:

„Im Leben geht es nicht darum, zu warten, bis das Unwetter vorbeizieht, sondern zu lernen, im Regen zu tanzen.“

Also tanze ich – bis heute! Ohne Tanz geht bei mir nichts.

In diesem Sinne tanzt.

Simona Köhler (55 Jahre alt und Muko-Betroffene)

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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