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Physiotherapie bei Säuglingen und Kleinkindern mit Mukoviszidose

Bei Mukoviszidose gehört die Physiotherapie zur Standardtherapie. Ziel ist es oft, den zähen Schleim zu lockern und so die Lungenfunktion zu verbessern. Aber wie ist das eigentlich bei Säuglingen und Kleinkindern? Jovita Zerlik, Physiotherapeutin im Altonaer Kinderkrankenhaus und Mitglied im Vorstand des AK Physiotherapie im Mukoviszidose e.V., schildert im Interview, was Physiotherapie auch bei den Kleinsten schon bewirken kann. Dieser Blogbeitrag ist Teil unserer Informationsoffensive zur Zeit nach der Diagnosestellung bei Mukoviszidose im Mukoviszidose Monat Mai.

Jovita Zerlik, Physiotherapeutin im Altonaer Kinderkrankenhaus und Mitglied im Vorstand des AK Physiotherapie im Mukoviszidose e.V.
Jovita Zerlik, Physiotherapeutin im Altonaer Kinderkrankenhaus und Mitglied im Vorstand des AK Physiotherapie im Mukoviszidose e.V.

Durch das Neugeborenen-Screening wird Mukoviszidose oft schon zeitnah nach der Geburt/im frühen Säuglingsalter diagnostiziert. Ab welchem Alter kann mukoviszidose-spezifische Physiotherapie durchgeführt werden?

Die physiotherapeutische Atemtherapie ist ein verordnungsfähiges Heilmittel, das heißt sie muss ärztlich verordnet werden und darf nur von examinierten Physiotherapeut:innen durchgeführt werden. Sie beinhaltet Maßnahmen, die bereits im Säuglingsalter, also direkt nach Diagnosestellung zur Anwendung kommen können. Auch wenn noch keine äußeren Zeichen einer Lungenbeteiligung zu erkennen sind (z.B. vermehrtes Sekret), können physiotherapeutische Techniken im Sinne einer Infektionsprophylaxe angewendet werden.

Warum ist es wichtig, dass Physiotherapie von Beginn an Teil der Behandlung ist?

Untersuchungen von Gewebe aus den kleinen Atemwegen und bildgebende Verfahren (CT) haben gezeigt, dass bereits kurz nach der Geburt und im ersten Lebensjahr in den kleinen Atemwegen Entzündungszeichen und die Neigung zu Veränderungen der Bronchialwände stattfinden können. Mit der Atemphysiotherapie können auch schon bei Babys vertiefte Atemzüge stimuliert werden, dadurch kommt es zur Verbesserung der Belüftung und Sekretmobilisation in den kleinen Atemwegen.

Wie kann man sich eine physiotherapeutische Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern vorstellen?

Da ein Säugling noch keine aktiven Atemtechniken durchführen kann, kommen zunächst nur passive Maßnahmen im Liegen oder auf dem Schoß zur Anwendung.

Einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung hat von Anfang an die individuelle Anleitung der Eltern in den atemtherapeutischen Techniken, der Inhalationstechnik und der Hygiene im Umgang mit den Inhalationssystemen.

Im Säuglingsalter muss in der Behandlung außerdem die senso-motorische Entwicklung berücksichtigt werden: Das Baby lernt im ersten Lebensjahr Schritt für Schritt Bewegungsübergänge vom Liegen über das Sitzen und Krabbeln bis zum Stehen und Laufen. Die physiotherapeutischen Maßnahmen werden an den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes angepasst.

Im Kleinkindalter haben die Kinder in der Regel einen großen Bewegungsdrang, daher werden motivierende Bewegungsangebote mit Therapiematerialien wie große Bälle, Rutschen, Schaukeln etc. vermehrt mit einbezogen. Es kann mit aktiven Atemtechniken zum Fördern der Brustkorbbeweglichkeit und zum Vertiefen der Atemzüge z.B. durch Pustespiele begonnen werden.

Welche Techniken sind in diesem Alter besonders wichtig und welche Effekte haben diese?

Im Säuglingsalter werden mit der Kontaktatmung die Atembewegungen gelenkt und vertieft, dadurch wird die Belüftung der Lunge in alle Bereiche verbessert und Sekret kann sich lösen und mundwärts transportiert werden. Umlagerungen und Dehnlagen bewirken zusätzlich einen positiven Einfluss auf die Brustkorbbeweglichkeit. Das Fördern von Bewegungsfreude soll möglichst von Anfang an Teil der Physiotherapie sein.

Im Kleinkindalter werden ergänzend zu den passiven Techniken aktive Atemtechniken altersentsprechend eingeführt: Pustespiele zum Intensivieren der Atembewegungen, Bewegungsspiele zum Unterstützen der Brustkorbbeweglichkeit.

In jeder Phase ist das Einbeziehen der Inhalationstechnik ein wichtiges Thema, die Eltern und Kinder sollen von Beginn an damit vertraut sein und sie regelmäßig durchführen.

Wie geht es weiter, wenn die Kinder älter werden?

Spätestens mit dem Beginn des Grundschulalters sind Kinder in der Lage, aktive Techniken der Atemtherapie zu lernen und (zunächst mit Unterstützung durch die Eltern) eigenständig durchzuführen. Die Bausteine der Autogenen Drainage werden bereits im Kleinkindalter geübt, damit jetzt diese Selbsthilfetechnik zum Verbessern der Belüftung der Lunge und zur Sekretmobilisation auch in den Alltag integriert werden kann. Hinzu kommt das Atmen mit den sogenannten exspiratorischen Stenosen (z.B. PEP®, Flutter®, RC Cornet®), also mit Geräten, in die bei der Ausatmung ein Widerstand das Offenhalten der kleinen Atemwege und den Sekrettransport begünstigt. Einige Stenosen produzieren zusätzlich Vibrationen in den Atemwegen, diese sind hilfreich beim Lockern zähen Sekretes.

Da körperliche Aktivität und Training gut für die Lungenfunktion sind, sollte mit regelmäßigem Sport begonnen werden, optimalerweise auch mit Angeboten im Vereinssport.

Zum Optimieren der Feuchtinhalation steht zu diesem Zeitpunkt auch der Wechsel von Düsenverneblern zu Schwingmembranverneblern (z.B. eFlow rapid®) an.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Eltern neudiagnostizierter Säuglinge und Kleinkinder? Welche Themen sind bei den Eltern in dieser Phase besonders präsent?

Die frühe Diagnosestellung „Mukoviszidose“ durch das Neugeborenen-Screening ermöglicht eine medizinische Behandlung gleich von Anfang an – diese beinhaltet neben der Ernährungstherapie mit individueller Enzymsubstitution auch die Physiotherapie und Inhalationstherapie. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass sich ein großer Teil der Säuglinge und Kleinkinder weitestgehend „normal“ entwickeln. Dadurch blicken die meisten Eltern entspannt und zuversichtlich in die Zukunft bezüglich der weiteren Entwicklung und Gesundheit ihrer Kinder. Hinzu kommen natürlich auch die positiven Zukunftsaussichten aufgrund der Möglichkeit von Modulatortherapien.

Der Umgang der Familie mit der Diagnosestellung bleibt natürlich weiterhin so individuell wie Menschen sowieso sind, und auch andere Faktoren haben Einfluss, z.B. wenn es Geschwisterkinder gibt.

Gibt es noch etwas, dass Sie zu dem Thema gerne sagen würden?

Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, um die Bedeutung der regelmäßigen täglichen Inhalation mit hypertoner Kochsalzlösung (NaCl 3%-5,85% oder höher) hervorzuheben und unbedingt zu empfehlen. Das zähe Bronchialsekret in der CF-Lunge wird dadurch von Anfang an in einer Weise verflüssigt, die sich der Beschaffenheit in einer gesunden Lunge annähert und bietet so eine gute Infektprophylaxe – ich nenne es daher auch gerne „Zähneputzen für die Lunge“ .

Das Interview führt Anna-Lena Strehlow.

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Mehr zum Mukoviszidose Monat Mai

Mehr zum Arbeitskreis Physiotherapie im Mukoviszidose e.V.

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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