Eine Eigenschaft der Mukoviszidose ist, dass diese Erkrankung mir und auch vielen anderen Betroffenen optisch nicht wirklich anzusehen ist. Das kann sowohl Vor- und Nachteile haben. Persönlich war ich schon immer dankbar dafür, in den meisten Fällen selbst entscheiden zu können, ob und wann ich anderen Personen von meiner Mukoviszidose erzähle. Gleichzeitig habe ich aber auch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Unsichtbarkeit meiner Krankheit die Wahrnehmung anderer Menschen prägt. Sätze wie „Du siehst aber gar nicht krank aus“, „So wie du aussiehst kann es ja aber auch nicht allzu schlimm sein“ oder andere derartige Reaktionen sind mir bereits häufiger begegnet und machen es definitiv nicht einfacher, mich selbst mit dieser komplexen Erkrankung in sozialen Umfeldern zu bewegen.
Und andererseits ist mir in verschiedenen Situationen meine Krankheit durchaus anzusehen. Generelle Faktoren wie Untergewicht, körperliche Schwäche oder bestimmte Nebenwirkungen, wie z.B. starke Gewichtszunahme durch eine Cortisontherapie, sind zwar keine direkten Indikatoren für diese spezifische Erkrankung, können aber sehr wohl von anderen Menschen wahrgenommen werden. Und genauso verhält es sich mit meinen Narben.
Die ersten und auch deutlichsten Spuren hat meine Mukoviszidose auf meinem Körper hinterlassen, als ich im Alter von 12 Jahren eine ein Jahr andauernde Therapie mit Cortison machen musste. Innerhalb weniger Wochen nahm ich über zehn Kilogramm an Körpergewicht zu, woraufhin an vielen Stellen meines Körpers Dehnungsstreifen auftraten. Am Bauch, rund um die Achselhöhlen, am gesamten Hosenbund und teilweise bis zur Kniekehle herunter trage ich seitdem die Spuren dieser Therapie, die zwar heute verblasst und dadurch etwas unscheinbarer sind, aber dennoch klar erkennbar bleiben.
Im direkten Anschluss an meine Cortisontherapie folgte die nächste einjährige Behandlung. Aufgrund einer Infektion mit dem Mykobakterium abscessus wurde mir ein Hickman-Katheter operativ eingesetzt, über den ich ein volles Jahr mit mehreren intravenösen Antibiotika behandelt wurde. An diese Zeit erinnert mich mein Körper seitdem durch eine knubbelige Narbe an der rechten Brust sowie eine schlauchförmige Verhärtung, die optisch fast den Anschein erweckt, Teile des Katheters wären immer noch in meinem Hals.
Nach außen hin haben diese unterschiedlichen Narben fürs erste nicht allzu viel an der Unsichtbarkeit geändert. Solange ich ein T-Shirt und nicht zu kurze Shorts trage, ist kaum etwas von meinen Narben zu sehen. Das habe ich mir, vor allem in der Zeit nach diesen zwei sehr harten Therapiejahren, immer wieder zunutze gemacht, um eben genau diese Teile meines Körpers zu verstecken, da ich mich phasenweise immer wieder sehr unwohl mit meinem körperlichen Erscheinungsbild gefühlt habe. Daraus resultiert aber auch, dass ich in diesen Phasen kaum in der Lage war, ein öffentliches Schwimmbad zu besuchen, mich in Schulumkleiden selbst vor guten Freunden oft unwohl gefühlt habe oder auch sonst Schwierigkeiten mit der Sichtbarkeit meines Körpers hatte. Und auch heute noch, begegnet mir diese innere Barriere bei der Präsentation meines Körpers. In vielen Situationen komme ich mittlerweile zum Glück gut damit zurecht, z.B. beim Sport, bei Arztbesuchen, oder auch bei Nacktheit in körperlich intimen Situationen mit anderen Menschen. Seit einiger Zeit experimentiere ich jedoch auch etwas mit meinem Kleidungsstil, trage hin und wieder kürzere Hosen und anders geschnittene Oberteile und habe dabei gemerkt, dass meine Gedanken und vor allem meine Sorgen über die Sichtbarkeit meiner Narben in der Öffentlichkeit immer noch präsent sind.
Zu diesem Umgang mit der äußeren Sichtbarkeit kommt für mich bei diesem Thema aber auch noch die innere Sichtbarkeit hinzu. Also nicht die Frage, wie mich andere sehen, sondern eben wie ich mich selbst sehe. Denn auch wenn ich meine Naben unsichtbar gemacht habe, wusste ich immer, dass sie da waren. Diese konstante Wahrnehmung bestimmter Teile meines Körpers als etwas, was ich verstecken muss, um mich nicht unwohl zu fühlen, hat sicher einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich ab meiner Jugend über viele Jahre hinweg wirklich kein gutes Selbstwertgefühl bezüglich meines Körpers aufbauen konnte. Dieses Thema belastet ja ohnehin schon viele Menschen, vor allem in der Pubertät. In einer so herausfordernden Lebensphase mit zwei Jahren sehr intensiver Therapie und einem vernarbten Körper konfrontiert zu werden, war eine riesige Herausforderung.
Und grade dieser Faktor ist auch heute noch spürbar. Im Laufe der Zeit wurde mein Verhältnis zu meinen Narben immer neutraler. Ich konnte langsam aber stetig etwas mehr Selbstvertrauen zu meinem Erscheinungsbild aufbauen, auch trotz meiner Narben, trotz meiner Akne am Rücken und trotz meiner unterdurchschnittlichen Körpergröße. Dabei hat es mir vor allem geholfen, aktiver über die Gestaltung meines Körpers zu bestimmen. Meine ersten Tattoos waren dabei ein großer Faktor für mich, aber auch bewusste Änderungen meines Kleidungsstils oder die Bildung meiner Identität im Allgemeinen. Manchmal bin ich mittlerweile sogar so im Reinen mit meinen Narben, dass ich sie in bestimmten Momenten sogar vergesse. Ich lebe jetzt schon seit über 10 Jahren in diesem von meiner Mukoviszidose gezeichneten Körper und mit der Zeit werden solche Dinge manchmal doch etwas leichter.
Womit ich aber auch heute noch zu kämpfen habe, ist die symbolische Bedeutung, die meine Narben für mich haben. Wenn ich sie bewusst wahrnehme, erinnert sich ein Teil von mir immer an diese Phase meines Lebens, in der es mir über Jahre hinweg wirklich schlecht ging. Konstant mit diesen Erinnerungen konfrontiert zu sein, kann hart für mich sein, gerade weil diese zwei Therapiejahre, die jetzt schon so lange her sind, auch heute noch so präsent an meinem Körper sind. Und in diesen Momenten wünsche ich mir einfach nur, meine Narben könnten irgendwie entfernt werden.
Mukoviszidose ist ohnehin eine sehr komplexe Krankheit, die Betroffene wie mich auf sehr verschiedene Arten beeinflusst und prägt. Auch unser körperliches Äußeres ist, in unterschiedlichem Ausmaß, ein Teil dieser vielschichtigen Erkrankung. Mein persönliches Verhältnis zu meinem Körperbild ist heute wieder deutlich entspannter, als es noch vor einigen Jahren war. Trotzdem ist meine Beziehung zu meinem Körper immer noch schwierig und ich merke, dass mich meine Narben an manchen Momenten immer noch in meinem Verhalten beeinflussen. In einer Gesellschaft, die uns auf so vielen Wegen immer wieder aufzeigen will, wie ein „perfekter“ Körper auszusehen hat, ist es für mich eine kontinuierliche Aufgabe, nicht den eigenen Selbstwert aufgrund meiner Narben zu hinterfragen und auch diese Aspekte meines Körpers zu akzeptieren. Und bei all den vielen Aufgaben, die ein Leben mit Mukoviszidose bereithält, fällt mir dies nicht immer leicht. Aber das ist in Ordnung. Denn es ist okay zu hadern, sich unsicher und unwohl zu fühlen. Genau wie meine Narben selbst, sind diese Dinge ein Teil von mir. Und das gehört für mich zu meinem Leben mit Mukoviszidose dazu.
Jakob
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