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Interview mit Prof. Dr. Carsten Schwarz: Herausforderungen und Zukunft der Mukoviszidose-Versorgung

Die Versorgung von Menschen mit Mukoviszidose (CF) steht vor großen Herausforderungen. Die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene wachsende Zahl erwachsener Patientinnen und Patienten verschärfen bestehende Probleme. Wir haben mit Prof. Dr. Carsten Schwarz, Leiter des Mukoviszidose-Zentrums Potsdam, über die aktuelle Situation, die Zukunft der CF-Versorgung und notwendige politische Maßnahmen gesprochen. Das Bloginterview ist Teil des Schwerpunkt-Themas CF-Versorgung im Mukoviszidose Monat Mai.

Aus dem deutschen Mukoviszidose-Register wissen wir, dass es aufgrund verbesserter Behandlungsmöglichkeiten immer mehr erwachsene Patientinnen und Patienten mit CF gibt. Gleichzeitig gibt es nur wenige Fachzentren für Erwachsene. Wie nehmen Sie diese Entwicklung in Ihrer Ambulanz wahr?

Diese Entwicklung beobachten wir bereits seit Jahren. Viele erwachsene Patientinnen und Patienten reisen weit, um eine spezialisierte Versorgung zu erhalten, da es in ihrer Nähe keine geeignete Ambulanz gibt. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich. Bestimmte Kinderambulanzen können Erwachsene zum Beispiel nicht mehr weiterbehandeln.

Wir sehen auch, dass immer mehr Patientinnen und Patienten nicht nur aus Brandenburg, sondern aus dem gesamten Norden und anderen Regionen zu uns kommen. Die Grenzen zwischen Bundesländern spielen dabei keine Rolle mehr – Hauptsache, sie bekommen die bestmögliche Versorgung.

Glauben Sie, dass die Ambulanzen ausreichend auf diese Entwicklung vorbereitet sind?

Nein, aus mehreren Gründen nicht. Mukoviszidose war nie ein wirtschaftlich lukratives Feld für Krankenhäuser. Das bezieht sich aber vor allem auf Ambulanzen, stationär sieht es zum Glück noch etwas anders aus. Aber der stationäre Anteil ist sowieso viel kleiner geworden aufgrund der effizienten Therapie mit den CFTR-Modulatoren. Bei den Ambulanzen sieht man schon, dass die Finanzierung gefährdet ist. Und es gibt bereits einige Ambulanzen, die geschlossen werden sollen oder sogar bereits schließen mussten, weil sie wirtschaftlich nicht tragfähig sind bzw. waren.

Das liegt eben nicht nur an Nachwuchsproblemen, sondern wie eben genannt vor allem auch an der Finanzierung. Viele Krankenhäuser in Deutschland sind angezählt und es wird immer mehr geschaut, wo man einsparen kann. Und da ist man schnell bei der CF-Ambulanz, wo wenige Patienten behandelt werden, die aber viel Zeit brauchen und sehr viel Geld kosten, da es personalintensive Betreuung bedeutet. Ich glaube aber nicht, dass jetzt alle Ambulanzen geschlossen werden, aber es gibt Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Personals. Für die Behandlung der Mukoviszidose benötigen wir mehr als nur eine Ärztin/ einen Arzt und eine Krankenschwester. Es wird immer schwieriger werden, die multidisziplinären Teams zusammenhalten, was ja auch von der Zertifizierung verlangt wird. Hier stellt sich die Frage, wie das in Zukunft ausgeglichen werden kann. Hier sehe ich eine große Herausforderung.

Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Absolut. Wir haben diese Probleme bereits vor zehn Jahren vorhergesehen und immer wieder darauf hingewiesen. Wir haben ja damals schon gemeinsam mit dem Mukoviszidose e.V. eine Task Force gegründet. Da ging es bereits darum, dass es zu wenig Nachwuchs gab und die Finanzierung auf Dauer nicht gesichert ist. Und das ist nach wie vor so. Es gibt nur sehr wenige Erwachsenenpneumologen, die sich für das Thema Mukoviszidose begeistern. Und die Arbeitseinstellung hat sich geändert. Es gibt auch immer mehr Ärztinnen und Ärzte, die Teilzeit arbeiten. Und wir sehen zum Beispiel auch, dass Patienten aus anderen Ambulanzen an uns weitervermittelt werden, da dort die Expertise für bestimmte Fragestellungen ggf. fehlt. Das ist übrigens kein Vorwurf, da bestimmte Komplikationen ja heute auch viel seltener auftreten, in kleineren Ambulanzen vielleicht nur alle fünf Jahre. So ist es aber auch schwieriger, CF-Ärzte so auszubilden, dass diese auch eine breite Expertise haben. 

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in der Versorgung erwachsener Patientinnen und Patienten mit CF?

Eine positive Entwicklung ist, dass es vielen Patientinnen und Patienten durch die Modulatortherapien besser geht. Das führt jedoch dazu, dass sie seltener in die Ambulanz kommen, weil sie sich gesund fühlen. Das hat sich sicherlich auch durch die Pandemie so entwickelt. Das ist verständlich, aber problematisch, da wir dadurch potenzielle Komplikationen später entdecken. Ein weiteres Problem daran ist, dass hierdurch auch wieder die Finanzierung betroffen ist. Wenn Patienten nur noch einmal im Jahr kommen, erhält die Ambulanz ja auch weniger Geld, was das gesamte System zum Wackeln bringt. 
Zusätzlich gibt es neue medizinische Fragestellungen, die früher kaum relevant waren. CF-Patientinnen und -Patienten werden älter, und damit treten zunehmend altersbedingte Erkrankungen auf, die wir in den Ambulanzen mitbehandeln müssen. Das erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine langfristige Versorgungsperspektive.

Fachkräftemangel in der Medizin

Gibt es genug Fachkräfte, um den steigenden Bedarf in der CF-Versorgung zu decken?

Nein. Wir wissen, dass der allgemeine Fachkräftemangel in der Medizin in den kommenden Jahren dramatisch zunehmen wird. Besonders in Spezialgebieten wie der Mukoviszidose-Versorgung wird es immer schwieriger, qualifizierte Ärztinnen und Ärzte zu finden. Viele Kolleginnen und Kollegen, die schon in Rente gegangen sind, sind derzeit notgedrungen weiterhin als Berater tätig, weil kein Nachwuchs vorhanden ist.

Wie stellt sich die Situation in Ihrer Potsdamer Ambulanz dar?

Wir haben das Glück, durch Drittmittelprojekte und Stiftungen zusätzliche Finanzierungsquellen zu haben. Dadurch haben wir eine gute personelle Ausstattung, die besser ist als in anderen Zentren. Trotzdem bleibt die wirtschaftliche Situation herausfordernd. Auch bei uns gibt es Engpässe, wenn mehrere Teammitglieder gleichzeitig krank sind. Wir haben über 300 Patientinnen und Patienten, was eine erhebliche logistische Aufgabe ist.

An welchen Stellen fehlt es konkret an finanziellen Mitteln für die Mukoviszidose-Versorgung?

Das setzt sich ja aus unterschiedlichen Komponenten zusammen. Positiv ist, dass Ernährungsberaterinnen und -berater sowie Physiotherapeutinnen ihre Leistungen abrechnen können. Wir haben auch die Möglichkeit, bestimmte Leistungen im psychosomatischen Bereich abzurechnen. 

Die andere Seite möchte ich durch ein Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Patient kommt, dem es schlecht geht, ist die Behandlung zunächst aufwändiger. Wir machen da in der Regel zum Beispiel keine Lungenfunktionsuntersuchung. Das ist aber finanziell problematisch: Wir haben mit dem Patienten mehr zu tun, können aber weniger Leistungen abrechnen. Hier sehen wir: Die Grundversorgung selbst ist nicht ausreichend vergütet. Bei anderen chronischen Erkrankungen ist die Versorgung oft deutlich besser bezahlt. 

Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit mit anderen CF-Ambulanzen?

Wir bekommen von anderen Ambulanzen häufig Patienten mit Komplikationen zugewiesen. Das heißt, wir haben mit vielen Ambulanzen eine enge Kooperation. Darüber hinaus gibt es auch einen inhaltlichen Austausch zum Beispiel bei Fragen zu einzelnen Diagnostikanwendungen oder therapeutischen Entscheidungen. Das ist nicht regional begrenzt. Es ist schön, dass wir in der CF-Versorgung sehr kollegial miteinander umgehen und uns austauschen. Wir haben zum Beispiel auch oft Kollegen hier, die hospitieren, nicht nur bei den Ärzten, sondern auch in anderen Fachgebieten.  

Forderungen an die Politik

Wir haben gerade einen neuen Bundestag gewählt. Das ist immer auch die Möglichkeit, Forderungen an die neuen Regierungsparteien und Gesundheitspolitiker zu stellen. Was wünschen Sie sich von der Gesundheitspolitik für die CF-Versorgung?

Erstens brauchen wir eine unbürokratische Abrechnung von digitalen Versorgungsangeboten wie Videosprechstunden. Wir können zwar schon jetzt Videosprechstunden abrechnen, aber nur, wenn der Patient im Quartal auch bei uns vor Ort war. Dabei könnte die Videosprechstunde teilweise auch den Ambulanzbesuch ersetzen, zum Beispiel, um Rezepte zu verordnen.  

Zweitens muss die Vergütung mindestens verdoppelt werden. Und damit wären wir noch unterhalb der Berechnung dessen, was wir brauchen – das ist vor fünf Jahren schon einmal so berechnet worden. Eigentlich müsste die Vergütung verdreifacht werden, um auszukommen. 

Welche Veränderungen oder Unterstützungen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um die wachsende Zahl an Patienten auf Dauer bestmöglich versorgen zu können?

Ich glaube, wir kriegen das hin, wenn sich die Vergütung verbessert und wir auch das Personal entsprechend bezahlen können. Ich finde andere Aspekte auch noch wichtig, da geht es dann um die Patienten selbst und nicht so sehr um uns in den Ambulanzen: Wie sind die Patienten im Leben versorgt? Wir sehen, dass immer mehr ältere Patienten nicht nur alleine und einsam – das ist ja auch ein gesamtgesellschaftliches Problem – sondern auch arm sind. Das ist eine Kombination, die extrem schädlich ist. Wohnraum ist knapp und teuer und das führt dazu, dass Menschen mit Mukoviszidose teilweise unter Bedingungen leben, die für ihre Erkrankung schädlich sind. Wir benötigen also auch mehr soziale Unterstützung für chronisch Erkrankte. Das ist auch eine ganz wichtige Forderung an die neue Regierung. 

Gibt es eine besondere Erfahrung oder ein Erlebnis, das Ihnen in der Arbeit mit CF-Patienten besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, da gibt es natürlich viele. Aber zurzeit ist es vor allem eine sehr positive Beobachtung: Menschen mit Mukoviszidose werden heute älter und bekommen daher auch Erkrankungen oder Probleme, die eben mit dem Älterwerden zu tun haben. Ich beobachte, dass viele sich freuen, wenn sie zum ersten Mal eine "normale" Krankheit haben, die nichts mit ihrer CF zu tun hat. Sie sagen dann oft: "Endlich habe ich mal etwas, das nicht mit Mukoviszidose zusammenhängt!" Das zeigt, dass wir uns im Gebiet der Mukoviszidose immer mehr zu einer neuen Normalität hin entwickeln. Das ist eine wunderschöne Entwicklung, aber es bedeutet eben auch, dass wir bei unseren Patienten mehr auf Vorsorgeuntersuchungen und Prävention achten müssen bzw. können. 

Was möchten Sie abschließend noch sagen?

Vielleicht ein Wunsch: Die CF-Versorger sollten weiterhin eng zusammenarbeiten, um die bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Wir haben ein starkes Netzwerk – auch zusammen mit der CF-Community – und können gemeinsam viel erreichen. 

Das Interview führte Juliane Tiedt. 

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Zuletzt aktualisiert: 09.05.2025