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"Wir können viel miteinander erreichen"

Dr. Stephan Illing hat sich seit über drei Jahrzehnten mit Herz und Seele der Behandlung von Menschen mit Mukoviszidose verschrieben. Im Interview sprechen wir mit dem Arzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin u.a. über seinen persönlichen CF-Moment, Entwicklungen in der Modulatortherapie und die Bedeutung einer bundesweit gleichbleibend hohen Versorgungsqualität für CF-Patienten.

Lieber Herr Dr. Illing, Sie haben 33 Jahre als Arzt für Kinder- und Jugendmedizin in der Pädiatrie des Olgahospitals in Stuttgart gearbeitet. Wie sind Sie auf das Thema Mukoviszidose aufmerksam geworden? Gab es da eine besondere Situation in Ihrem Leben, an die Sie sich erinnern?

Ja, es gab sogar mehrere solche Situationen. Bei meinem Staatsexamen 1976 in der Kinderklinik bekam ich als „Prüfungspatienten“ einen zehnjährigen Jungen mit Mukoviszidose zugeteilt. Er war ganz abgemagert, schwer krank, konnte nicht mehr gehen und war nach Auskunft der betreuenden Kinderkrankenschwester „unser Ältester“. Viele Jahre später begegneten mir immer wieder Patienten mit CF, die zur Lungenfunktion geschickt wurden. Eine junge Frau war ganz verwundert, dass ich sie fragte, was sie denn für eine Ausbildung habe und wo sie arbeite. Sie meinte, ich sei der erste Arzt, der sie als erwachsenen Menschen wahrnehme, und sie wolle in Zukunft von mir betreut werden. Ich antwortete ihr, dass ich das nicht dürfe und auch nicht könne. Die Antwort folgte prompt: „Dann lernen Sie das!“. Und so habe ich ab Ende der 1980er- Jahre begonnen, ganz viel dazuzulernen. Stück für Stück kamen immer mehr Familien mit CF zu mir. So ist dann meine Ambulanz entstanden und gewachsen. 

Auch später gab (und gibt) es immer wieder Menschen, die mich ganz besonders beeindruckten und daher gut in Erinnerung bleiben.
Nachdem ich aus dem Klinikum Stuttgart Richtung Ruhestand gegangen bin, hat mich ein gutes halbes Jahr später die Nachsorgeklinik Tannheim „eingefangen“ und schwupp war ich wieder in der „Muko-Szene“ drin, aus der ich mich eigentlich schon verabschiedet hatte. Die Arbeit mit den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit CF bereitet mir nach wie vor große Freude, weil wir viel miteinander erreichen konnten und können.  

Was empfinden Sie bei Ihrer Arbeit mit Mukoviszidose-Patienten als bereichernd und was als herausfordernd?

Die Arbeit mit den Mukoviszidose-Patienten, bzw. den Familien, empfand ich immer als Gemeinschaftsaufgabe, und zwar sowohl innerhalb des Ambulanz-Teams als auch mit den Familien und Patienten selbst. Weil man sich gut kennt und in aller Regel auch vertrauensvoll miteinander umgeht, ist dies ein sehr guter Teil der ärztlichen Tätigkeit. Fast jeden Tag bin ich zufrieden nach Hause gegangen, vor allem wenn es gute Gespräche gegeben hat. 
Weniger erfreulich und auch teils stark belastend ist der Umgang mit Verwaltung, Krankenkassen und anderen Akteuren, die oft wenig Verständnis für die Situation der CF-Familien haben. 

Durch die Entwicklung der Modulatortherapie hat sich die Lebenserwartung der einstigen Kinderkrankheit immens erhöht, sodass ein heute Neugeborenes sehr gute Chancen hat, ein höheres Erwachsenenalter zu erreichen. Gleichzeitig werden vielerorts erwachsene Betroffene noch in der Kinderklinik betreut. Der Mukoviszidose e.V. hat Anfang 2017 eine Petition an den Deutschen Bundestag gestartet, um die medizinische Versorgung von Menschen mit Mukoviszidose deutschlandweit sicherzustellen. Sie stehen mit anderen Ärzten bundesweit im Austausch. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Schon seit einigen Jahren gibt es in Deutschland mehr Erwachsene mit CF als Kinder. Das ist eine erfreuliche und gute Entwicklung, die durch die Modulatortherapie noch weiter verstärkt wird. So langsam kommen wir endgültig dahin, dass Erwachsene mit CF nicht mehr in die Kinderklinik gehören, höchstens mal zufällig als Eltern. Auch ich habe lange Zeit die Erwachsenen mit CF betreut und mich mit Themen wie Berufstätigkeit, (Teil)Rente, Familiengründung, Schwangerschaft etc. befasst. Dann war ich aber doch froh, dass es gelungen war, innerhalb der Klinik eine Struktur zu etablieren, dass die Erwachsenen internistisch betreut werden, sowohl ambulant als auch stationär. Als Kinderarzt ist man mit vielen Problemen einfach überfordert, und wenn es jetzt noch in Richtung Alterskrankheiten und Krebsvorsorge geht, hört die Kompetenz der kinderärztlichen Betreuung endgültig auf. Das müssen alle verstehen lernen: Die Menschen mit CF, die Kinderkliniken und die Kostenträger und natürlich die internistischen/ pneumologischen Kliniken, die diesen Versorgungsauftrag ernst nehmen müssen. Und das geht nicht einfach so nebenher. In vielen Regionen hat sich das schon gut etabliert, doch es gibt noch viel zu tun. 

Seit Ihrem Eintritt in den Ruhestand sind Sie, neben verschiedenen Lehrtätigkeiten, als beratender Arzt für CF-Patienten in der Reha-Klinik Tannheim tätig. Wie wirken sich die zum Teil großen Veränderungen im Leben vieler CF-Patienten durch die CFTR-Modulatoren auf den Reha-Alltag aus? 

Den ersten Kontakt mit der Modulatortherapie hatte ich vor etwa 15 Jahren, als die Phase-III-Studie mit Ivacaftor begann. Ein Patient von mir hatte als Jugendlicher teilgenommen und war offenbar zunächst in der Placebo-Gruppe. Nach der Umstellung auf das echte Medikament konnte ich dann miterleben, wie radikal sich das Leben eines Menschen mit CF ändern kann, wenn der Chloridkanal funktioniert. Inzwischen haben wir seit einiger Zeit die Kombination Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor (ETI), die für die meisten CF-Patienten geeignet ist, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es auch für Kinder unter sechs Jahren zugelassen wird. Die Behandlung mit ETI führt bei den allermeisten Menschen mit CF zu einer sehr deutlichen Besserung von Hustensymptomen, Sekretmenge und Lungenfunktion, außerdem zu Gewichtszunahme, weniger Salzverlust im Schweiß und vielen anderen positiven Entwicklungen, die man als Patient gar nicht immer direkt bemerkt. Das Risiko für eine Pseudomonas-Besiedelung geht zurück, es werden weniger Antibiotika gebraucht, und auch andere Komplikationen scheinen seltener zu werden. Die Nebenwirkungen sind im Vergleich zum Effekt in den allermeisten Fällen gut auszuhalten. Und wir alle lernen täglich dazu, noch sind viele Fragen offen. 

Aber wir dürfen nicht vergessen: für ca. 10% der Menschen mit CF steht noch keine solche oder vergleichbare Behandlung zur Verfügung, weil die individuellen Mutationen nicht dazu passen. Die Menschen profitieren selbstverständlich von den vielen anderen Fortschritten der CF-Behandlung. Und die Forscher sind sehr aktiv, um für jede/n etwas zu finden, was ihm/ihr über die Standardtherapie hinaus hilft.  

Sie sind seit 25 Jahren Mitglied im Mukoviszidose e.V. und sind dort im Arbeitskreis Rehabilitation sowie bei der muko.zert-Zertifizierung für Mukoviszidose-Ambulanzen aktiv. Für Letztere haben Sie die Kriterien des Ambulanz-Zertifizierungsverfahrens mit entwickelt. Seit 2017 sind Sie zudem als Gutachter aktiv. Können Sie einer/m Außenstehenden erklären, worin der Mehrwert dieses Verfahrens für die betroffenen Patienten und das Ambulanzteam liegt?

Es war für mich immer selbstverständlich, den Mukoviszidose e.V. durch meine Mitgliedschaft zu unterstützen. Dies ist auch ein wichtiges Zeichen für die Teammitglieder in der Ambulanz und vor allem auch für die Menschen mit CF. 

Seit einigen Jahren bin ich bei der Zertifizierung von CF-Ambulanzen aktiv und auch bei der Erstellung des Kriterienkataloges für diese Zertifizierungen. Noch in meiner Zeit in Stuttgart habe ich erlebt, dass ein wohlwollend-kritischer Blick von außen sehr hilfreich ist, die Strukturen im Team und die Qualität der Versorgung zu überdenken. Das Ziel der Zertifizierung ist nicht die Kontrolle, sondern Hilfe und Anregung anzubieten, eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität zu erreichen. Ambulanzen und CF-Zentren, die daran teilnehmen, werden mit dem entsprechenden Zertifikat ausgezeichnet. Fast immer erleben wir als Visitationsteam, dass wir zunächst kritisch erwartet werden, dann nach Besichtigung der örtlichen Strukturen und Gesprächen mit den Team-Mitgliedern gelobt werden für unsere konstruktive Kritik zur Verbesserung. Als Patient kann man an dem vorhandenen Zertifikat sehen, ob die Ambulanz an diesem Verfahren teilnimmt und die damit verbundenen Chancen nutzt. 

Sie haben nicht nur Ihr Berufsleben der Arbeit mit und für die Betroffenen gewidmet, sondern unterstützen die Arbeit des Mukoviszidose e.V. auch durch Spenden. Was waren Ihre Beweggründe dafür?

Der Mukoviszidose e.V. ist eine sehr gut und effektiv arbeitende Patientenorganisation. Diese Arbeit muss laufend finanziell unterstützt werden. Die Pauschalen für die Aufwandsentschädigung bei den Zertifizierungen (online oder bei Visitationen) lasse ich mir daher nicht auszahlen, sondern spende diese Gelder dem Muko e.V. Das Geld kann besser verwendet werden als mich als Rentner zu unterstützen.

Was würden Sie einer Person raten, die noch unentschlossen ist, ob sie/er für die Arbeit des Mukoviszidose e.V. spenden möchte? 

Mitmachen! Gemeinsam schaffen wir es besser! Der Mukoviszidose e.V. erfüllt viele wichtige Aufgaben, ohne die es für die Betroffenen und deren Angehörige viel schlechter aussehen würde. Dies sind u.a.:

  • Die Bereitstellung von Sachinformationen für Patienten/Familien, Behandlungsteams und alle anderen Interessierten
  • Öffentlichkeitsarbeit und politische Lobbyarbeit, denn beides ist notwendig, um die Ziele dauerhaft zu erreichen
  • Die Initiierung und auch Finanzierung von Forschungsprojekten
  • Die Betreibung des Patientenregisters, aus dessen Daten sehr viele Erkenntnisse zur Versorgungssituation von CF-Patienten gewonnen werden, 
  • Die Unterstützung der Mukoviszidose-Zentren bei der Qualitätssicherung
  • Die Zertifizierung und Visitation von Mukoviszidose-Zentren mit dem Ziel einer einheitlich qualitativ hochwertigen Versorgung aller Menschen mit CF

All dies geht nicht ohne die Unterstützung durch Spenden. Und ich kann garantieren, dass das Geld gut aufgehoben ist, dazu kenne ich den Mukoviszidose e.V. lange und gut genug. 

Lieber Herr Dr. Illing, wir bedanken uns für das Gespräch!

Das Interview führte Marc Taistra.

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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