Liebe Birgit, Du wirst dieses Jahr 70 Jahre alt. Wie fühlst Du Dich?
Ehrlich gesagt, gemischt. Ich bin sehr dankbar und froh, dass ich mit CF bald meinen 70. Geburtstag feiern darf. Das ist nicht vielen Betroffenen vergönnt und ein großes Glück. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass Mukoviszidose mit dem Alter nicht besser wird. Und so befinde ich mich gerade in einem gesundheitlichen Tief und warte auf eine OP, in der ein Harnleiterstein entfernt werden soll. Ich vertrage auch die Antibiotika-Infusionen offensichtlich nicht mehr gut. Das heißt, das Alter muss in der Therapie berücksichtigt werden. Und da gibt es bei CF noch nicht so viele und intensive Erfahrungen.
Deine Geschichte zeigt, wie schwierig es früher war, Mukoviszidose zu diagnostizieren. Du wurdest jahrelang auf Zöliakie behandelt. Wie ist dann doch noch die Diagnose gestellt worden?
Mein Bruder hatte nicht das Glück, das mir beschieden war. Er starb mit 17 an der CF-bedingten Leberzirrhose. Ein halbes Jahr vor seinem Tod hatte ein Krankenhausarzt die Idee, dass die Zirrhose auf einer CF beruhen könnte. Also führte man einen Schweißtest durch, von Genanalyse war noch nicht die Rede, das kam erst ca. 30 Jahre später. Der Test fiel positiv aus, also CF, und dann kam man auf die Idee, dass die Schwester möglicherweise auch CF haben könnte. Also Test – und ja, keine Zöliakie sondern CF.
Wie ging es Dir damit?
Die Diagnose in der damaligen Zeit war eine Katastrophe. Denn eine wirksame Therapie gab es praktisch nicht. Es gab keine Kenntnisse über die Krankheit. Es gab auch keine emotionale Unterstützung, z.B. durch psychologische Betreuung. Unsere Familie blieb mit den Konsequenzen dieser Diagnose völlig alleine und wir konnten sehen, wie wir als Familie weitermachten.
Wie sah die Therapie damals aus?
Es gab noch keine magensäurefesten Enzyme. Also mussten CF-Patienten eine weitgehend fettarme Diät einhalten – mit entsprechenden Konsequenzen für das Körpergewicht. Auch die Autogene Drainage war noch nicht entwickelt. Um die Lunge vom Schleim zu reinigen, wurden Patienten auf ein schräg gestelltes Brett gelegt und die behandelnde Person klopfte alle Lungensegmente mit der hohlen Hand ab. Man hoffte, dass sich durch diese Erschütterung der Schleim von den Bronchialwänden löste und abgehustet werden könnte. Diese Prozedur sollte dreimal täglich jeweils 45 Minuten lang durchgeführt werden. Das bedeutete aber auch, dass CF-Patienten völlig abhängig von einer Pflegeperson wurden und ihr Tagesablauf dieser Therapie unterworfen wurde. Denn eine CF-spezifische Physiotherapie wie die Autogene Drainage gab es noch nicht, es gab auch keine Behandler, die diese Klopftherapie professionell hätten durchführen können, und wenn es sie gegeben hätte, wären sie unbezahlbar gewesen. Ich war 19 Jahre alt, wollte damals von Zuhause ausziehen und in einer anderen Stadt studieren. Unmöglich mit dieser „Therapie“. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich trotzdem haben gehen lassen, obwohl das Therapieproblem nicht gelöst war. Denn wenn ich zu Hause geblieben wäre, hätte das massive negative Folgen für unsere Familie und meine berufliche Ausbildung gehabt und mir jede Lebensqualität genommen.
Wie war die Versorgung von Menschen mit Mukoviszidose in Deiner Jugend im Vergleich zu heute?
Es gab in den 50-ern, 60-ern und 70-ern keine Versorgung für Menschen mit Mukoviszidose. Die zwei sogenannten CF-Ambulanzen verdienten den Namen nicht. Denn sie konnten den Patienten keine sinnvolle und wirksame Therapie anbieten. Es gab keine medizinische Kompetenz für die Behandlung der Mukoviszidose und keine wirklich wirksamen therapeutischen Ansätze. Mit dem Schweißtest konnte man diagnostizieren, aber danach keine wirksame Behandlung anbieten.
Du hast viele Meilensteine in der Mukoviszidose-Therapie quasi live mitbekommen. Was ist Dir davon im Gedächtnis geblieben?
Du hast Dich jahrelang für Menschen mit Mukoviszidose engagiert, warst beim Mukoviszidose e.V. für die Gesundheitspolitik mit zuständig. Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe Deutsch/Englisch auf Lehramt mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft und den Nebenfächern Pädagogik und Philosophie studiert, mit dem Ziel, Lehrer in der Sekundarstufe II zu werden. In dem Zusammenhang machte ich ein Praktikum bei einem Selbsthilfeverein von Körperbehinderten, die damals eine häusliche Pflege aufbauten, die Menschen mit Körperbehinderungen größere Selbstbestimmung als ein Leben im Heim ermöglichen sollten (Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen). Es war die Zeit, in der sich behinderte Menschen gegen die Bevormundung durch Experten und Institutionen auflehnten. „Experten in eigener Sache“, „Inklusion“, „Selbstbestimmung“, „nichts über uns ohne uns“ waren die Schlagworte der Bewegung „Selbstbestimmt Leben - Independant Living“, die aus den USA von engagierten behinderten Menschen nach Europa getragen wurde. Nach meinen Erfahrungen mit einem Medizinsystem, das die Therapie absolut setzte und nicht im Geringsten danach fragte, was der Patient eigentlich wollte und ihn so total allein ließ, fühlte ich mich dadurch sehr angesprochen und arbeitete statt an einer Schule bei der Selbsthilfe Körperbehinderter als Einsatzleiterin in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung und als Sozialpädagogin. Dort sprach mich Stephan Kruip an. Denn inzwischen gab es so viele CF-Erwachsene, dass der Mukoviszidose e.V. ihnen ein Angebot machen wollte. Und so wurde als erstes der ehrenamtlich arbeitende Arbeitskreis der CF-Erwachsenen gegründet, damals AKL, Leben mit Mukoviszidose, jetzt AGECF, Arbeitsgemeinschaft der Erwachsenen mit CF, Erwachsene mit Mukoviszidose innerhalb des Mukoviszidose e.V. Später wurde ich beim Mukoviszidose e.V. als Ansprechpartnerin für Erwachsene mit CF angestellt, und als 2003 durch § 140 f SGB V und die Patientenbeteiligungsverordnung die Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss ermöglicht wurde, erhielt ich den ehrenvollen Auftrag, die Interessen der CF-Patienten dort zu vertreten.
Was macht Dir heute Hoffnung für Menschen mit Mukoviszidose?
Die therapeutischen Maßnahmen sind heute evidenzbasiert, also durch Studien und ihre Auswirkungen auf die Gesundheitsdaten der Patienten durch Register nachgewiesen und es gibt viele Ansätze, die Mukoviszidose zu behandeln.
Mukoviszidose wird weltweit intensiv beforscht. Es gibt medizinische Netzwerke, die neue Studien initiieren und die Qualität der Studien sichern. Patientenvertreter sind in die Reviews der Studien eingebunden.
Die Entwicklung der Gesundheitsdaten der Patienten wird weltweit dokumentiert (Register). Damit wird auch die Wirksamkeit der therapeutischen Maßnahmen kontinuierlich ausgewertet.
Patientenorganisationen, Ärzte und Forscher arbeiten weltweit eng zusammen.
Es gibt sehr wirksame medizinische Gesellschaften zur Erforschung und Behandlung der Mukoviszidose, so dass der Fortschritt in diesen Themen systematisch organisiert und entsprechende Prozesse und Strukturen etabliert werden.
Was bedeutet Älterwerden mit Mukoviszidose für Dich?
Ein „normales“ Leben mit / trotz Mukoviszidose leben zu dürfen.
Was würdest Du Eltern von heute Neugeborenen mit Mukoviszidose raten?
Schwer zu sagen, da ich selbst keine Kinder habe. Ich kann gut verstehen, dass Eltern sich riesige Sorgen machen, wenn ihre Kinder die Therapie nicht so einhalten und durchführen, wie es notwendig erscheint. Trotzdem würde ich wagen zu sagen: Lasst die Mukoviszidose und ihre Therapie nicht das alles bestimmende Element im Leben Eurer Kinder werden. Und allgemein: Es gibt Gründe zur Hoffnung. Die Diagnose „Mukoviszidose „hat viel von ihrer Wucht verloren.
Das Interview führte Juliane Tiedt
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