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Du hast es selber in der Hand: Wie umgehen mit fragwürdigen esoterischen Ratschlägen?

Simona Köhler berichtet in ihrer Blogserie regelmäßig von Themen rund um die Mukoviszidose. Heute beschäftigt sie sich mit fragwürdigen Ratschlägen zur Gesundheit und wie sie damit umgeht.

Mit einer Portion Größenwahn erklärte mir eine ehemalige Freundin: „Stell dir doch mal vor, Du hast es selber in der Hand, ob Du noch krank bleibst oder gesund wirst.“ Sie hätte in einem Buch gelesen, dass man alle Gene ein- oder ausschalten könne, man müsse nur gesund leben. Das hätten wissenschaftliche Studien eindeutig bewiesen. Mit ihr darüber zu diskutieren, war leider unmöglich, sie hatte Dank erwartet und keine Kritik.

Ungebetene Ratschläge sind häufig

Vermutlich wurde fast jeder chronisch kranke oder behinderte Mensch mit solch fragwürdigen Ratschlägen zwangsbeglückt. Mir selber ist eine große Bandbreite des esoterischen Repertoires offeriert worden. 

Ein kleiner Auszug: 

Ich hätte mir den Gendefekt bereits im Mutterleib ausgesucht, da Menschen mit einer Erbkrankheit stellvertretend eine Schuld der Eltern, oder von wem auch immer, auf sich geladen hätten. Fragt sich, wie ich das als Zellklumpen gemacht haben könnte? Diese Schuld müsse ich nur aufklären, dann bräuchte ich auch nicht mehr krank zu sein.

Oder ich müsse meinen Zellen bloß neue Informationen mitteilen, um den Heilungsprozess in Gang zu setzen. Mit der Macht meines Geistes könnte ich das gesamte Universum formen und für die eigenen Wünsche arbeiten lassen. Alles wäre machbar. Was sind das für bizarre Überzeugungen?

Auch das zwanghafte positive Denken wurde mir nahegelegt. Denn nur wer mit positiver Einstellung und Gedanken durchs Leben ginge, könne reich, glücklich und gesund sein bzw. werden. Sowas Profanes wie Wut, Ängste oder Zweifel müssten einfach in positive Energie umgewandelt werden. Gelingt es einem nicht, hat man sich keine Mühe gegeben und einfach zu wenig positiv gedacht. Gerne läuft das auch unter dem Motto, in jeder Krankheit stecke eine Chance oder hätte einen tieferen Sinn. Pech für mich, wenn ich keinen Sinn oder keine Chance dahinter finde. Selber schuld, wenn ich dann unglücklich und krank bleibe.

Ungebetene Ratschläge sind keine Hilfe

Das alles sind aus meiner Sicht fehlgeleitete Ansichten, gespickt mit irritierenden Allmachtfantasien. Schuldzuweisungen, die als Ratschläge getarnt werden. Da wurde mein angeborener Gendefekt, meine unheilbare Krankheit kurzerhand geleugnet. Immer wieder wurde ich einseitig dafür verantwortlich gemacht, begleitet von der Unterstellung, gar nicht gesund werden zu wollen. Die realistischen Herausforderungen zur Krankheitsbewältigung wurden heruntergespielt, nicht wahrgenommen oder schöngeredet. Diese Menschen handeln meiner Meinung nach im höchsten Maße unsensibel, anmaßend und menschenverachtend. Anstatt Kranke oder Behinderte aufzufangen und ihnen echte Hilfe anzubieten, wurden sie einfach fallengelassen.

Es hilft mir, vor Augen zu führen, dass diese Menschen vor allem den Kontroll- und Machtverlust fürchten. Ihre Aufforderung zum „zwanghaften“ positiven Denken, oder was auch immer, ist doch letztlich nur ein Eingeständnis dafür, dass es da draußen eine reale Welt gibt, die durch ihre Wünsche und Gedanken in keiner Weise zu beeinflussen ist.  

Zum Nachlesen empfehle ich zwei Bücher: „Smile or die – Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“ von Barbara Ehrenreich und „Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ von Pia Lamberty und Katharina Nocun.  

Über die Autorin

Simona Köhler, Jahrgang 1967, eine lebenserfahrene Mukoviszidose-Betroffene, lebt mit ihrem Mann in Pinneberg. Sie wurde u.a. zur Tanzpädagogin ausgebildet und unterrichtete viele Jahre Tanz. Nach dem Verwaltungsstudium arbeitet sie heute in der Hamburger Kulturbehörde als Referentin für Kinder- und Jugendkulturprojekte. Seit ihrem 18. Lebensjahr engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen mit Mukoviszidose. 

Wie das Tanzen ist auch das Schreiben für sie eine Möglichkeit, unklaren Gefühlen zu begegnen oder den Kopf wieder frei zu bekommen. Mit ihren Texten möchte sie ihre Erfahrungen im Umgang mit Mukoviszidose weitergeben. Zunehmend setzt sie sich in ihren Texten kritisch mit „Ableismus“ auseinander, um für dieses Thema zu sensibilisieren. 

Auf Instagram findet Ihr Simona unter @simonatanzt.

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Zuletzt aktualisiert: 04.11.2024
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