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„Eine enge Zusammenarbeit des multidisziplinären Teams ist wichtig“

Johanna Gardecki ist Psychologin (M.Sc.) und Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin am Christiane Herzog CF-Zentrum der Universitätsklinikum Frankfurt. Wir haben Sie gefragt, wie sich neue Modulatoren wie Kaftrio auf die psychosoziale Arbeit mit Mukoviszidose-Betroffenen auswirken und was die Veränderungen durch diese Medikamente für die Patienten bedeuten können.

Johanna Gardecki
Johanna Gardecki, Psychologin und Systemische Einzel-, Paar und Familientherapeutin

Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem neuen Modulator in Ihrer Therapie bislang? Wie viele Ihrer CF-Patienten nehmen Kaftrio bereits?

Bei rund 50 Patienten (Stand Anfang Dezember 2020) haben wir die Therapie bisher eingeleitet und viele weitere befinden sich aktuell in der Vorbereitung für Kaftrio. Die meisten Erfahrungen sind sehr positiv und es ist beeindruckend, von welchen Veränderungen die Patienten und Angehörigen uns berichten. Einige sprechen nicht nur von einer verbesserten Lebensqualität, sondern von einem ganz neuen Alltagsleben. In vielen Fällen zeigen sich bereits kurz nach dem Start Therapieeffekte. Allerdings kommt nicht jeder Patient mit diesen schnellen Veränderung sofort gut zurecht. In der kurzen Zeit haben wir erstaunlich viele unterschiedliche Erfahrungen gesammelt.

Welche Auswirkungen hat Kaftrio auf Ihren Arbeitsalltag, und inwiefern hat sich Ihre Arbeit in der psychosozialen Arbeit mit Mukoviszidose-Patienten dadurch verändert?

Die neue Therapie kann nicht nur körperlich, sondern auch emotional viel mit den Patienten machen – mit solchen, die sie erhalten können oder bereits erhalten, aber auch mit solchen, die sie nicht erhalten können. Zu wissen, dass es eine Therapiemöglichkeit gibt, die zu einem längeren Leben mit verbesserter Qualität führen kann, aber nicht darauf zugreifen zu können, führt bei manchen unserer Patienten zu belastenden Gefühlen und Gedanken. Diese Patienten müssen wir gut im Blick behalten. Natürlich ist das nicht bei allen der Fall, die meisten haben eine gute Resilienz und wissen, wie sie mit dieser Entwicklung umgehen können.

Die Patienten, die Kaftrio erhalten, reagieren psychisch sehr unterschiedlich auf die Therapie und ihre Effekte. Die Mukoviszidose hat für jeden einzelnen Patienten eine individuelle, sehr persönliche Bedeutung. Für manche bedeutet die Erkrankung einen „Vollzeit-“ oder „Nebenjob“, manche haben die Mukoviszidose sehr in ihre Identität integriert, andere wiederum stehen eher in Distanz zu ihr. Und das ist alles richtig und berechtigt, weil es den individuellen Umgang mit der eigenen Erkrankung darstellt. Unsere Aufgabe ist vor allem genau das im Kopf zu behalten, wenn wir eine neue Therapie einsetzen, die teilweise so massive Veränderungen innerhalb kürzester Zeit mit sich bringt. Denn je nachdem, welche Bedeutung der einzelne Patient seiner Mukoviszidose gibt, reagiert er auch unterschiedlich auf diese Veränderungen. Für meinen Arbeitsalltag heißt das konkret, dass eine gute Vorbereitung vor Therapiestart und eine enge Begleitung des Patienten zu Beginn und während der Therapie unabdingbar ist. Eine Veränderung, egal in welche Richtung, erfordert immer einen Anpassungsprozess. Und diesen Prozess gilt es zu begleiten. Eine Verbesserung der Lebensqualität zu feiern. Vielleicht neue Möglichkeiten und Lebensperspektiven anzuschauen. Aber auch den Umgang mit nicht erfüllten Erwartungen an die Therapie zu besprechen.

Mit dem Einsatz von Kaftrio ist zudem eine intensive Zusammenarbeit mit dem multidisziplinären Team wichtig, um auf die Therapieeffekte entsprechend reagieren zu können.

Wo sehen Sie mögliche Herausforderungen für die Patienten?

Auch mit dem neuen Modulator haben wir keine Heilung der Mukoviszidose und weiterhin eine relevante Lungenerkrankung. Für einige fühlen sich die Therapieeffekte jedoch wie eine Heilung an. Für diese Patienten kann es eine Herausforderung sein, sich weiterhin zu ihrer Basistherapie zu motivieren. Ich sehe darin eine Chance, die Therapieeffekte für die Therapiemotivation zu nutzen, den Therapieplan neu auszurichten und an die Veränderungen anzupassen. Zum Beispiel können durch mehr Energie neue Möglichkeiten in der Physio- und Sporttherapie entstehen.

Einige Patienten berichten auch von einem zu schnellen „zu viel“. Plötzlich zu viel Schleim, zu viel Hunger, zu viel Energie. Ein Beispiel: Ein Patient hat von einem vorher noch nie vorhandenen Hungergefühl erzählt und innerhalb einer Woche fast 10% seines Körpergewichts zugenommen. Zeitgleich sind aufgrund Corona die Fitnessstudios geschlossen und er kann sein gewohntes Training nicht durchführen. Auch ein neues energetisches Level kann eine Herausforderung sein. Wenn eine lange Zeit körperliche Erschöpfung zum Alltag dazugehörte, kann dieser plötzliche Energieschub möglicherweise erstmal überfordernd wirken.

Eine weitere Herausforderung kann der Umgang mit hohen Erwartungen an die neue Therapie sein, die durch die mediale Aufmerksamkeit und Erfahrungsberichte entstehen. Zudem kann es zu unterschiedlichen Reaktionen auf Therapieeffekte zwischen Patient, Angehörigen und Behandlern kommen. Damit meine ich, dass wir Behandler teilweise anders auf Therapieeffekte reagieren als der Patient oder die Angehörigen. Hier sehe ich den Fokus ganz klar in der Unterstützung des Patienten, die Veränderungen durch die Therapie bestmöglich für sich nutzen zu können. Es bringt nichts, wenn wir über eine Gewichtszunahme jubeln, der Patient damit aber überfordert ist.

Was meinen Sie, könnte sich für Ihren Arbeitsbereich in Zukunft durch das neue Medikament ändern?

Im Rahmen einer neu ausgerichteten CF-Behandlung konzentriert sich die psychologische Versorgung darauf, Patienten zu ermutigen und darin zu unterstützen, ihre neuen Möglichkeiten, z.B. im Bereich Berufswahl, Aktivitäten oder Sport, und vielleicht auch ganz neue Lebensperspektiven, zu erkunden. Außerdem rückt ein verbesserter Gesundheitszustand die Förderung von Selbstmanagementstrategien in den Fokus. Für uns Behandler ist die Einführung des neuen Medikaments ein guter Reminder, auf eine patientenzentrierte Kommunikation zu achten. Nur so kann die Bedeutung der Therapieeffekte vor dem Hintergrund des individuellen Lebenskontexts des Patienten verstanden und Veränderungen maximal positiv genutzt werden. Außerdem muss den Patienten, die nicht von dem Medikament profitieren können, ein Rahmen für die Auseinandersetzung mit alternativen Perspektiven angeboten werden.  

Welchen Rat würden Sie aus Ihrer Berufspraxis heraus Patienten geben, die jetzt mit Kaftrio anfangen?

Seid offen für Veränderungen. Seid neugierig darauf, wie die Therapie ganz individuell bei Euch wirkt und was die Therapieeffekte mit Euch als ganzen Menschen machen. Achtet darauf, ob Euch Erfahrungsberichte und Vergleiche guttun – wenn nicht, konzentriert Euch lieber auf Euch. Setzt Euch mit Euren Erwartungen an die Therapie auseinander und nutzt Euer Ambulanzteam für Fragen, gemeinsame Reflektion und neue Wege.

Gibt es etwas, was Sie in diesem Zusammenhang noch loswerden möchten?

Im Zusammenhang mit dem neuen Medikament habe ich in den letzten Monaten oft gehört „Bald werden wir die CF-Versorgung nicht mehr brauchen.“ Dieser Satz steht natürlich für eine große Hoffnung, die das Medikament mit sich bringt. Und wir haben auch allen Grund, diese Entwicklung zu feiern. Dennoch ist jetzt nicht die Zeit, um an Personal zu sparen. Die Frage sollte nicht sein, „Wie lange brauchen wir noch CF-Ärzte, CF-Psychologen, CF-Physiotherapeuten, CF-Ernährungsberater etc.?“, sondern „Welche neuen Aufgabenfelder ergeben sich für die einzelnen CF-Berufsgruppen?“

Jetzt ist die Zeit, um genau hinzuhörenund den Veränderungsprozess aktiv zu begleiten, um die maximale Wirkung der neuen Therapie für alle Patienten zu gewährleisten. Und damit meine ich nicht nur die maximale physiologische Wirkung, sondern auch die maximale Wirkung für die psychische und psychosoziale Situation des Patienten.

Das Interview führte Juliane Tiedt.

Alle Beiträge der Blogreihe zu Kaftrio

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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