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Diagnose Schauspielerin

Claudia Wunsch (27) hat CF und ist sauerstoffpflichtig. Dies hält die Norderneyerin jedoch nicht davon ab, ihrer Leidenschaft, der Schauspielerei auf der Bühne, nachzugehen. Wir haben mit ihr über witzige Gesten, die Macht der Gefühle und die Stärke der Gemeinschaft gesprochen.

Frau Wunsch, Sie haben im Sommer 2019 bei der Aufführung des Ohnsorg-Theater-Klassikers „Tratsch im Treppenhaus“ auf Norderney die Menschen in Ihrer Rolle der Meta Boldt reihenweise zum Lachen gebracht. Sind Komödien Ihre Stärke?

Ich denke schon. Schon oft haben die Menschen um mich herum gesagt: „Claudia, du brauchst eine Comedy-Bühne für dich!“. Und wenn man schon im realen Leben voller Humor steckt, dann kann man das erst recht auf der Bühne zeigen. Auch ernste und anspruchsvolle Rollen spiele ich gerne. Die Rollen, die einem am meisten abverlangen, sind die mit wenig Text, aber vielen Auftritten. Bei der Rolle der Meta Boldt hatte ich beides: 455 ganze Sätze zum auswendig lernen und 90% Bühnenpräsenz. Aber genau auf diese Rolle habe ich seit Jahren gewartet, meine absolute Traumrolle. Bei den Szenen, in denen ich minutenlang ohne Text auf der Bühne stand, musste ich das Publikum durch Mimik und Gestik abholen und begeistern. Da ist auch schon oftmals Einfallsreichtum gefragt, bei dem es gilt, die Requisiten, das Bühnenbild und auch die anderen Mitspieler zu nutzen. Wenn man hinterher dann gesagt bekommt „in der Szene habe ich den Text überhaupt nicht mitbekommen, weil ich nur über Claudia lachen musste“, war es die ganze Mühe wert. Bei der letzten Aufführung saß ein indischer Schauspieler und Produzent im Publikum, der kein einziges Wort Deutsch sprechen oder verstehen konnte. Er sagte mir auf Englisch: „Obwohl ich nichts von dem Text des Stückes verstanden habe, habe ich durch dich dennoch die Geschichte verstanden. Du bist ein Riesentalent und eine wirkliche Schauspielerin!“ Die anschließende Publikumskritik „Besser als das Original“ hat das Ereignis dann herrlich abgerundet, …also um auf Ihre Frage zurückzukommen: ganz klares JA, Komödien liegen mir ganz besonders!

Claudia Wunsch gestikulierend während einer Theateraufführung von "Tratsch im Treppenhaus"
Die Komik der Geste – Claudia Wunsch ist in ihrem Element

Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen und was bedeutet es für Sie, auf der Bühne zu stehen?

Meine Mutter und auch meine Schwester waren bereits in unserem Theaterverein auf der Bühne sehr aktiv, dementsprechend bin ich dort groß geworden. Ich kenne unser wunderschönes Kurtheater wie meine eigene Westentasche und ich kann mittlerweile nicht mehr zählen, wie viele Stunden, Tage und Nächte ich dort verbracht habe. Auf der Bühne zu stehen, bedeutet mir alles. Ein Theater ist ein Ort, wo sich ganz viel Geschichte, Emotionen, Erfolge, aber auch Tränen abspielen. Unser Norderneyer Laientheater e.V. ist wie eine zweite Familie. Man kennt sich seit Jahren, mit guter oder schlechter Laune, wenn man Stress hat oder überglücklich ist. Man kommt sich durch bestimmte Rollen mal ganz nah, spielt vielleicht ein Ehepaar. Man schreit sich an, weil die Rollen sich hassen. Man spielt sich auch auf der Bühne gegenseitig Streiche. Bei einem Texthänger kann man sich sicher sein, dass die Kollegen einen auffangen und helfen, den Text wiederzufinden. Ein Theater ist ein Ort, wo man viele neue tolle Leute kennenlernt und sich Freundschaften fürs Leben finden. Was für Spaß man bei den Proben hat, wenn alles schiefgeht und keiner seinen Text kennt oder weiß, wo er stehen soll. Das sind die allerschönsten Momente. Dafür bin ich dem Laientheater unendlich dankbar! Die Bühne ist für mich wie ein Ventil. Hier vergesse ich alles um mich herum und lege meine ganze Energie, Wut, Trauer und Freude in meine Rolle. Für die Zeit des Spielens tritt die Krankheit in den Hintergrund, es fühlt sich beinahe so an als wäre ich gesund. Ich wusste schon immer, dass die Bühne mit das Wichtigste für mich ist, aber gerade jetzt zu Corona- Zeiten habe ich gemerkt, wie sehr mir das Theater fehlt und wie viel mir unsere Gemeinschaft bedeutet. Ich habe mal den Spruch gelesen: “Schauspieler ist kein Beruf, sondern eine Diagnose“ und das trifft zu 100% auf mich zu. Wenn man wie ich das Theater-Gen in sich trägt, kann man ohne Bühne einfach nicht auskommen.

Im Gegensatz zu anderen Menschen in Ihrer Branche haben Sie Ihre Krankheit von Anfang an nicht verheimlicht. Wie hat sich das auf die Zusammenarbeit am Theater ausgewirkt?

Nur positiv. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es hätte funktionieren können, wenn ich das für mich behalten hätte. Dadurch, dass alle meine Kollegen, ob auf, vor oder hinter der Bühne, Bescheid wussten, musste ich mich nie verstecken, egal in welchem Zustand. Wenn man eine Rolle annimmt, dann fragen die Probentermine und die Aufführungstermine nicht danach, wie es einem gerade geht. Man muss es durchziehen. Ich bin häufiger krank bei den Proben erschienen oder habe mich schlapp gefühlt, habe teilweise viel gehustet. Aber das war und ist bei unserem Verein kein Problem.

„Die Aufklärung über die Krankheit war die beste Entscheidung“

Mir wurde ganz viel Verständnis, Hilfsbereitschaft und Liebe entgegengebracht. Es wurden Pausen für mich gemacht, Termine kurzfristig verschoben oder Kollegen sind spontan für mich bei Proben eingesprungen. Hinter der Bühne habe ich immer ein Sauerstoffgerät. Das tragen mir meine Kollegen überall hin, wo ich’s grad brauche, meine Tasche wird immer von den anderen gepackt und an jeder Stelle habe ich einen Stuhl, um im Notfall sitzen zu können. Die Aufklärung über meine Krankheit, war die beste Entscheidung. So musste ich niemanden in Notsituationen anlügen, das wäre das schlimmste für mich gewesen. Und das Sauerstoffgerät. Das hätte ich nun wirklich nicht verstecken können 😄. Bei „Tratsch im Treppenhaus“ musste ich sehr oft die Treppe laufen und kam dadurch oft aus dem Keller auf die Bühne. Dort hatte ich sogar zwei Sauerstoffgeräte: eins in der Kabine und eins unten im Keller direkt am Treppenabsatz. Sobald ich runter kam von der Bühne, wurde es von meinen Kollegen schon angemacht, ich setzte mich dran und man holte mir Wasser. Diesen Zusammenhalt und diese Hilfe erfährt man allerdings nur, wenn man mit diesen Menschen über alles spricht und offen mit der Krankheit umgeht! Wenn mehr Menschen so offen mit der Krankheit umgehen würden, würden viel mehr Menschen sie zu verstehen lernen. Denn es gibt noch immer viel zu viele Leute, die Mukoviszidose nicht kennen und das muss schleunigst geändert werden! Wenn ich dazu beitragen kann, indem ich mit meinem Theaterverein offen darüber spreche, ist dies definitiv schon einmal ein guter Anfang.

Claudia Wunsch inmitten ihres geliebten Ensembles
Claudia Wunsch im Kreise ihres Ensembles

Gab es während der Aufführungen auch kritische Momente, bei denen Ihnen buchstäblich die Luft wegblieb?

Ja, definitiv. Bei den Proben schon häufiger, aber da kann man immer mal eine Pause einlegen. Gerade wenn ich Szenen habe, in denen ich mich viel bewege und gleichzeitig auch viel sagen muss, geht mir schon mal häufig die Luft aus. Aber dann probt man halt erst eine andere Szene und ich kann mich eine Zeit zur Seite setzen. Aber bei der Aufführung geht das natürlich nicht. Aber ich hatte bisher das Glück, das durch diesen wahnsinnigen Adrenalinschub auf der Bühne und dieser Konzentration mir erst zweimal die Luft „wegblieb“. Einmal musste ich wirklich kurz Husten, aber man schafft es dann, mit viel Disziplin, wirklich weiterzumachen und es zu unterdrücken. Danach, hinter der Bühne, geht es natürlich richtig los mit Husten und ich muss mich erstmal setzen, aber da ist es ja egal. Beim letzten Stück gab es diese Szene, bei der Frau Knoop das Treppengeländer putzt und ich ihr quer über die Bühne immer hinterhergehen muss und ihr beim Geländer immer rauf und runter folge. Währenddessen musste ich schnell und durchgehend reden. Da war ich wirklich sehr kurzatmig, das haben meine Spielkollegen auch an meiner Sprache gehört; aber das kriegt das Publikum dann Gott sei Dank nicht mit. Dann geht es nach der Szene eben kurz an den Sauerstoff und dann weiter. Wenn man etwas so sehr will wie ich das Theaterspielen, kann der Körper eine unfassbare Stärke und Disziplin aufweisen. Das merke ich selbst immer wieder aufs Neue.

Wer mit Ihnen spricht, erlebt Sie als eine sehr lösungsorientierte Person. Beim Muko-Freundschaftslauf Norderney in diesem Jahr haben Sie beispielweise erwirkt, dass Sie die Strecke, da Sie diese nicht laufen konnten, mit Ihrem Pferd abreiten durften. Ist diese Fähigkeit zu improvisieren etwas, was Sie durch das Theaterspiel gelernt haben oder haben Sie diese Fähigkeit durch Ihre Lebenserfahrung als Mukoviszidose-Patientin trainiert?

Es gibt für alles eine Lösung. Egal, wie schwer das Problem erscheint, oder wie aussichtslos die Situation auch ist, man kann alles klären und regeln. Das lernt man, wenn man, sowohl als Muko-Patient als auch auf der Bühne, immer wieder vor neue Hürden gestellt wird. Ich habe durch beides, also durch meine Theatererfahrung und durch meine Erkrankung, einiges gelernt, was ich für das jeweils andere gut gebrauchen kann. Durch meine ständig wechselnden Gesundheitszustände habe ich gelernt, zu improvisieren. Einerseits ist es eine Fähigkeit, die eigentlich jeder in sich trägt, aber nicht jeder nutzt. Durch Mukoviszidose ist sie, glaube ich, bei mir wesentlich ausgeprägter als bei anderen. Der Zustand eines Muko-Patienten kann sich von jetzt auf gleich ändern und man muss lernen, dabei ruhig zu bleiben und gleichzeitig schnell zu reagieren. Wichtige Entscheidungen muss man dabei manchmal schnell treffen. Dank dieser ausgeprägten Fähigkeit ist es für Schauspieler auf der Bühne überhaupt kein Problem, bei „besonderen“ Szenen schnell und passend zu reagieren. Denn Requisiten können beispielsweise auf einmal fehlen oder kaputtgehen. Deine Schauspiel-Kollegen könnten ihren Text vergessen, weshalb du nicht weiterspielen kannst. In so einer Situation dann seinen Partnern auf die Sprünge zu helfen, um zurück ins Stück zu finden, verlangt eine hohe Spontaneität und die Fähigkeit, gut zu improvisieren. Entspannt zu bleiben und auf alle Eventualitäten gefasst zu sein, hat mir schon oft auf der Bühne sehr geholfen.

„Wenn ich meine bisher größte und absolute Traumrolle spielen möchte, muss es einfach gehen, ob Muko gerade möchte oder nicht“

Eine wichtige Fähigkeit, die ich durch die Schauspielerei trainiert habe und die mir bei meinem Alltag mit Mukoviszidose hilft, ist die Disziplin. Wenn man eine Rolle annimmt, ist man ein halbes Jahr mehr im Theater als zuhause. Stücke werden stundenlang, teilweise abends bis in die Nacht, geprobt. Man muss, gerade bei einer Hauptrolle wie bei mir letztes Jahr, ununterbrochen konzentriert und aufmerksam sein. Kleine Wehwehchen müssen hintenangestellt werden; man lernt, mit Disziplin und einer Schubkarre voller Willenskraft kann man vieles schaffen.

Die Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren, halte ich bei einer Krankheit wie Mukoviszidose für unverzichtbar. Ein Leben lang muss man inhalieren, Medikamente nehmen, Krankenhausaufenthalte sind in regelmäßigen Abständen völlig normal. Hat man da keine Disziplin und den Willen, um das zu machen, verliert man gegen die Krankheit. Meine beste Freundin hat einmal zu mir gesagt „Denk dran Claudia, du musst nicht mit der Krankheit leben, sondern die Krankheit mit dir!“. Und sie hat recht. Wenn ich auf die Bühne will, wenn ich meine bisher größte und absolute Traumrolle spielen möchte, muss es einfach gehen, ob Muko gerade möchte oder nicht. Um das zu schaffen, braucht man Helfer an seiner Seite, die einen das ein oder andere abnehmen können. Und für mein Leben auf der Bühne, könnte ich mir dafür keine besseren vorstellen als meine Vereinskollegen. Und solange ich noch genug Luft, Kraft und den Willen habe, um Heidi Kabels berühmteste Rolle, die der Meta Boldt, mit 455 Sätzen zu spielen, werde ich auch weiterhin auf der Bühne zu finden sein.

Das Interview führte Marc Taistra (Mukoviszidose e.V.)

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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