Interview mit Marie Fuchs zu ihrem ungewöhnlichen Weg der Selbstisolierung auf Rügen
Marie Fuchs ist 31 Jahre alt, CF-Betroffene und Ärztin und hat sich während der Corona-Pandemie für einen ganz ungewöhnlichen Weg der Selbstisolation entschieden: Sie ist vorübergehend aus dem vollen Berlin auf die Insel Rügen gezogen, um die Kontaktminimierung bestmöglich umzusetzen und sich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen. Zusammen mit einer nierentransplantierten Freundin lebt sie dort seit fünf Monaten im Ferienhaus einer befreundeten Familie. Wie sie diesen Wechsel von der turbulenten Großstadt auf die ruhige Insel erlebt und welche inneren Prozesse und neuen Perspektiven ihr das Inselleben erschließen, davon erzählt Marie Fuchs im Interview.
Viele Mukoviszidose-Betroffene und ihre Familien hatten gerade zu Beginn der Corona-Pandemie mit vielen Herausforderungen und Sorgen zu kämpfen – wie hoch ist das Risiko für CF-Betroffene, wie kann die Kontaktminimierung gelingen, können Berufstätige weiterhin zur Arbeit gehen – all diese Fragen wollten beantwortet werden. Wie haben Sie die Ausbreitung der Pandemie im vergangenen Jahr erlebt?
Im Anfangsstadium der Pandemie in Deutschland befand ich mich für eine Reha-Maßnahme in Sankt Peter Ording. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung vom Robert Koch-Institut noch als gering eingeschätzt. Gegen Ende des Kuraufenthaltes stiegen auch die Fälle in Deutschland an, die Unsicherheit in der Gruppe wuchs.
Auf Nachfrage in der Mukoviszidose-Ambulanz der Charité wurde mir, als in einer Praxis arbeitenden Ärztin mit damit verbundener hoher Zahl an Kontakten, angeraten, vorerst zuhause zu bleiben und mich möglichst zurückzuziehen.
In Berlin habe ich vereinzelt Freunde mit Abstand und draußen getroffen, Einkäufe habe ich mir nach Hause liefern lassen und Körperkontakt gab es keinen. Bei Spaziergängen und außerhalb meiner Wohnung trage ich Maske, in meinem Kiez bewege ich mich mit möglichst großer Entfernung; entgegenkommenden Menschen weiche ich routiniert aus. Die ersten Monate habe ich gut durchgehalten, im Herbst wurde das Gefühl, eine außenstehende Beobachterin der Gesellschaft zu sein, präsenter und die Möglichkeit, auf Rügen in einer Gemeinschaft überwintern zu können, war eine große Erleichterung.
Ich habe Respekt vor einer Covid-19-Infektion und bin nicht bereit, meinen neuen Gesundheitszustand – seit knapp 3 Jahren Therapie mit Kaftrio – zu gefährden und damit potenziell meine zurückgewonnene Lungen- und Lebens-Qualität zu verlieren.
Wie sind Sie auf die Idee mit dem vorübergehenden Umzug nach Rügen gekommen?
Die Familie eines Freundes besitzt Ferienhäuser auf Rügen und hat mich eingeladen, dort den Winter zu verbringen. Damals war noch nicht ersichtlich, dass es Beherbergungsverbote geben und die Insel tatsächlich sehr leer sein wird. Im Nachhinein haben auch mein Freund und ein weiterer Teil seiner Familie sich entschlossen, auf der Insel zu verweilen, und wir konnten in größerer Runde gemeinsam Zeit verbringen, zusammen zu Abend essen.
Der Kontrast zwischen einem Leben in der Großstadt und dem auf einer kleinen Insel ist sehr groß. Wie gehen Sie damit um? Was vermissen Sie, und was haben Sie vielleicht neu dazu gewonnen?
Aufgrund der Pandemielage in Berlin fällt das tatsächlich nicht allzu schwer: Das Leben auf der Insel ist deutlich entspannter, ruhiger und natürlich sicherer. Ich lebe in Berlin Neukölln, einem sehr vollen und jungen Stadtteil ohne Rücksichtnahme und häufig ohne Masken. Natürlich vermisse ich Theater- und Konzertbesuche, Essen gehen mit Freunden und vor allem das spontane Zusammensein und Miteinander. Wiederentdecken konnte ich in jedem Fall die Natur, und ich denke, dass ich auch in Berlin zurück perspektivisch mehr Ausflüge und Wanderungen machen werde.
Hat sich durch diese relativ lange, ungeplante Auszeit auf Rügen für Sie etwas Grundlegendes in Ihrem Leben / Ihrer Sicht auf das Leben verändert?
Die Auszeit auf Rügen gibt mir die Möglichkeit, viel Zeit in der Natur zu verbringen. Möglichkeiten für lange Spaziergänge, Fahrradtouren und Laufrunden direkt vor dem Haus zu haben. Ich bin es gewohnt, entweder in vollen Parks zu sein oder aber mittels öffentlicher Verkehrsmittel in das Berliner Umland und nach Brandenburg zu fahren. Dieses direkte aus-dem-Haus-Gehen schätze ich sehr. Gleichzeitig sind in Berlin die kulturelle Vielfalt und der Austausch ein ganz anderer, wobei das aufgrund der pandemischen Situation auch dort atypisch wäre.
Wissen Sie schon, wie lange Sie noch auf Rügen bleiben werden? Und was sind Ihre Pläne für die Zukunft – geht es zurück nach Berlin, und werden Sie weiter als Ärztin arbeiten?
Nein, einen konkreten Plan gibt es derzeit nicht. Aktuell gibt es neue Verordnungen im Land Mecklenburg-Vorpommern, und es kann sein, dass ich zeitnah nach Berlin zurückkehren muss. Als Ärztin möchte ich weiterarbeiten, ich kann mir jedoch vorstellen, in einen anderen Fachbereich zu wechseln; gerade habe ich mich in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie beworben – ein Arbeitsplatz mit weniger Kontaktpersonen und ruhigerem Arbeitsumfeld.
Gibt es etwas, das Sie zum Thema gerne noch loswerden möchten?
Ich habe heute Vormittag einen Text von Hartmut Rosa gehört. In diesem hat er zu Beginn der Pandemie gesagt, dass ein „Kollektives Innehalten“ nötig ist. Und ich denke, dieses „Kollektives Innehalten“ ist weiterhin essenziell: Rücksichtnahme untereinander, gegenseitiges Respektieren und Unterstützen, die Entscheidung anderer, sich vorsichtiger zu verhalten, nicht vorschnell zu bewerten und anzugreifen, sondern Situationen, Menschen und die Umwelt im Allgemeinen anzunehmen.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Carola Wetzstein
Anm. d. Redaktion: Unmittelbar nach dem Interview musste Marie Fuchs unerwartet nach Berlin zurückkehren, weil Mecklenburg-Vorpommern die Corona-Maßnahmen verschärft hat und alle, deren erster Wohnsitz nicht in dem Bundesland liegt, ausreisen mussten. Über Marie Fuchs‘ abrupte Rückkehr nach Berlin berichtete n-tv.
Die Unterstützungsarbeit des Mukoviszidose e.V.
Die vielfältigen Unterstützungsangebote des Mukoviszidose e.V. beinhalten auch Hilfsangebote für Mukoviszidose-Betroffene, die durch die Corona-Pandemie in eine finanzielle Notlage geraten sind. Hierfür hat der Verein zu Beginn der Pandemie in 2020 einen Corona-Fonds eingerichtet, der das Ziel hat, kurzfristige finanzielle Engpässe zu überbrücken.
Mehr über den Corona-Fonds des Mukoviszidose e.V. erfahren
Möchtet Ihr die Arbeit des Mukoviszidose e.V. unterstützen, damit wir die Betroffenen und ihre Familien weiterhin begleiten können?
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose