Wie ist das eigentlich mit CF zu studieren? Und welche Herausforderungen gibt es, wenn man nach dem Studium für eine Promotion an der Uni bleibt? Welche Vor- und Nachteile bietet eine Unikarriere für CF-Patient*innen? Ein Blogbeitrag von Dorothee Marx (CF-Patientin).
Ich arbeite als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Englischen Seminar der Universität Kiel. Zum Wintersemester 2009 bin ich zum Studium aus meiner Heimat in Hessen nach Kiel gezogen, um dort Anglistik/Amerikanistik und Skandinavistik zu studieren. Nach einem Freiwilligendienst in Schweden wollte ich unbedingt die Nähe zu Skandinavien. Außerdem wollte ich mir (und wahrscheinlich auch meinem Umfeld) beweisen, dass ich es auch weiterhin „alleine“ schaffen konnte. Schon mein Freiwilligendienst in einer Stockholmer Kirchengemeinde war ein Ausbruchsversuch. Ich musste weg aus dem Dorf, wo mich alle kannten, wo alle ein bestimmtes Bild von mir hatten, wo ich jahrelang gemobbt worden war. Kurz: Ich wollte einen Neuanfang.
Da ich mich noch aus Stockholm bewerben musste, hatte ich mir Kiel stets als Notnagel offengehalten: Wenn alle Bewerbungen scheitern sollten, wusste ich, dass es dort keinen NC gab und ich mich einfach einschreiben könnte. Als ich wieder zurück in Deutschland war und tatsächlich feststellte, dass meine anderen Studienplätze bereits verfallen waren, stieg ich mit meinem Wanderrucksack in den Zug nach Kiel. Es fühlte sich an, wie ein großes Abenteuer. Am Bahnhof wurde ich von Möwenschreien begrüßt. Es gefiel mir auf Anhieb – und der einstige Notnagel wurde bald zu meinem neuen Lebensmittelpunkt. Nach meinem Bachelor blieb ich an der Kieler Uni und schrieb mich in den Masterstudiengang English and American Literatures, Cultures and Media ein.
Die CF ließ sich während meines Studiums gut managen, auch wenn es fast drei Jahre dauerte, bis ich mich traute, mich in Kiel in der Erwachsenenambulanz vorzustellen. Stattdessen ging ich weiterhin zu meinem alten Kinderarzt in Gießen. Ich war aber fit genug, um mein Studium relativ problemlos zu schaffen. Erst im Master machte es sich langsam bemerkbar, dass ich öfters ins Krankenhaus musste und in mir die Angst aufkam, zu viele Fehlzeiten zu sammeln und nicht zu den Prüfungen zugelassen zu werden. Da ich aber seit dem Bachelor am Englischen Seminar der Kieler Uni war und mich meistens direkt nach der ersten Lehrveranstaltung bei meinen Dozent*innen „geoutet“ hatte („Nein, ich bin nicht ansteckend, nein, ich räuspere mich nicht, weil Sie was Falsches gesagt haben“), stieß ich glücklicherweise immer auf viel Verständnis. Das lag sicher auch daran, dass meine Leistungen überdurchschnittlich waren und ich ansonsten ein zuverlässiges, engagiertes Bild abgeben konnte.
Was mir zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst war: Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2016 haben 11% der Studierenden „eine oder mehrere studienerschwerende Gesundheitsbeeinträchtigungen“[1] und es gibt auch Beratungsstellen für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung an Universitäten. Zu Beginn meines Studiums fühlte ich mich aber nicht „behindert“ genug, um überhaupt auf die Idee zu kommen, nach einer solchen Beratungsstelle zu suchen. Im Master stellte ich zwar einen Antrag auf Nachteilsausgleich, der mir erlaubte, mehr Fehlzeiten auszugleichen, dies tat ich aber ohne Unterstützung der Beratungsstelle. Letztendlich musste ich die zusätzlichen Fehlzeiten auch nicht in Anspruch nehmen. Trotzdem hätte mir mehr Bewusstsein über diese Möglichkeiten und auch der Austausch mit anderen Betroffenen sicher geholfen.[2]
Im Anschluss an mein Studium hatte ich das große Glück, bei der Betreuerin meiner Masterarbeit, der Professorin für North American Studies, eine Promotion anfangen zu dürfen. Da ein Kollege erst in Elternzeit ging und dann auf eine andere Stelle wechselte, konnte ich dann auf eine halbe Doktorandenstelle wechseln. Auf dieser Stelle muss ich pro Semester eine Lehrveranstaltung unterrichten, einige Verwaltungsaufgaben erledigen und an meiner Doktorarbeit schreiben. Dafür werde ich nach Tarif im öffentlichen Dienst bezahlt. Diese sogenannten Qualifikationsstellen sind immer für die Dauer der Qualifizierung (also in meinem Fall der Doktorarbeit) befristet, und zwar auf maximal sechs Jahre, die sich meistens in mehrere Verträge gliedern. Wenn man nach der Doktorarbeit noch weiter an der Uni bleiben möchte für die sogenannte Habilitation, bekommt man weitere sechs Jahre. Geregelt ist das im sogenannten Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Leider ist es aber so, dass am Ende dieser 12 Jahre keine befristeten Verträge mehr vergeben werden dürfen. Wenn man keine Professur bekommt, und sich keine der ganz wenigen unbefristeten Stellen unterhalb der Professur, im sogenannten Mittelbau, sichern kann, bekommt man quasi ein Berufsverbot. Im Moment formiert sich gegen diese Regelung im Netz Widerstand unter #IchBinHanna. Ich selbst habe mit der TAZ über meine schwierige Situation gesprochen.[3]
Seit 2017 ist im WissZeitVG für Wissenschaftler*innen mit schwerwiegender chronischer Erkrankung oder Behinderung eine um zwei Jahre längere Höchstbefristungsdauer vorgesehen. Das bedeutet, dass ich zu meinen maximal sechs Jahren Promotionszeit noch weitere zwei Jahre dazubekommen kann. Dazu muss man aber sagen, dass nicht alle, die mehr Zeit bräuchten, diese auch bekommen. Nicht jeder Mensch mit Behinderung hat einen offiziellen Grad der Behinderung oder Zugang zu der nötigen Diagnose, die die Anwendung dieser Regelung ermöglicht. Hinzu kommt, dass Hochschulen nicht verpflichtet sind, Verträge entsprechend zu verlängern. Ich hatte also viel Glück, dass mir aufgrund meines offiziellen Grad der Behinderung eine Verlängerung genehmigt wurde.
Wie ist es also, mit CF an der Uni zu arbeiten? Zunächst hat die Arbeitssituation viele Vorteile, die es auch chronisch kranken Menschen leichter machen. Da ich noch als Promotionsstudentin eingeschrieben bin, bekomme ich noch ein Semesterticket und auch günstigeres Mensaessen. Mein Arbeitsplatz in Kiel ist nur zehn Minuten mit dem Fahrrad von mir zuhause entfernt, sodass ich nicht lange pendeln muss. Ich kann mir meine Zeit relativ frei einteilen, und auch viel von zuhause arbeiten (erst recht seit Corona). Ich habe ein wahnsinnig nettes Kollegium, von denen mich einige unterrichtet haben, als ich noch selbst an der Uni war. Deshalb habe ich zum Beispiel meine Inhaliersachen oft einfach mit ins Büro genommen und dann inhaliert, während ich schon Mails geschrieben habe. Ab und zu, wenn die Erschöpfung zu groß wurde, habe ich mich auch kurz unter den Schreibtisch gelegt und die Augen zu gemacht. Da es keine festen Arbeitszeiten gibt, kann ich oft am Wochenende das nachholen, was ich unter der Woche nicht geschafft habe.
Mein Beruf macht mir unglaublich viel Freude. Ich liebe es zu unterrichten und mich mit den Studierenden auszutauschen und ihnen neue, spannende Texte und historische oder sozio-kulturelle Zusammenhänge vorzustellen. Mittlerweile bin ich auch Vertrauensdozentin und berate Studierende, die zum Beispiel mit Diskriminierung zu tun haben. In der Deutschen Gesellschaft für Amerikanistik engagiere ich mich im Diversity Roundtable und mache auf die Situation von Wissenschaftler*innen mit Behinderung aufmerksam. Dabei ist mir sehr bewusst, dass es viele Menschen gibt, die es aufgrund einer Behinderung oder chronischen Erkrankung nicht in die Wissenschaft (oder auch gar nicht erst bis zu einem Studium) schaffen. Wenn ich öffentlich über meine CF spreche, bekomme ich oft Nachrichten von anderen Wissenschaftler*innen, die unsichtbare Behinderungen haben und sich nicht trauen, an der Uni darüber zu sprechen.
Auch die Inhalte, mit denen ich mich beschäftigen darf, inspirieren und begeistern mich. Seit meiner Promotion beschäftige ich mich mit dem Feld der Disability Studies. Ich schreibe meine Doktorarbeit über den Einfluss von Zeit auf das Verständnis von Behinderung und chronischer Erkrankung in zeitgenössischer amerikanischer Literatur. Was mir am meisten Freude dabei macht, ist, dass ich dabei auch über das Thema Mukoviszidose schreiben kann. Tatsächlich gibt es mittlerweile einige (Jugend)Bücher mit Protagonist*innen, die auch CF haben, mit denen ich mich in meiner Forschung beschäftige. Für meinen ersten Artikel zu dem Thema habe ich sogar einen Preis für Exzellenz in Comicforschung bekommen.[4] Demnächst wird ein Artikel von mir zu dem Thema im Journal of Literary & Cultural Disability Studies erscheinen. Darauf bin ich sehr stolz.
Tatsächlich ist es aber trotz aller Freude auch so, dass die Arbeit an der Uni auch belastend sein kann. Wenn man eine Chance auf eine Unikarriere (oder überhaupt eine Zukunft in der Wissenschaft) haben möchte, muss man neben der Doktorarbeit auch auf Konferenzen fahren (am besten auch ins Ausland), Vorträge halten und Rezensionen oder wissenschaftliche Artikel schreiben und netzwerken. All das kostet Kraft und mich begleitet oft die Sorge, mit meiner Dissertation nicht rechtzeitig fertig zu werden, oder nicht genug publiziert zu haben. Deshalb arbeite ich fast jedes Wochenende. Wenn ich einen Infekt bekomme, sind schnell 2 oder 3 Wochen weg, in denen ich bei einer IV aufgrund der Nebenwirkungen nicht arbeiten kann. Das ist Zeit, die gesunde Wissenschaftler*innen nicht verlieren. Deshalb habe ich oft das Gefühl, dass ich noch mehr leisten muss als andere, um zu beweisen, dass ich an der Uni richtig bin.
Man kann generell sagen, dass es Wissenschaftler*innen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen schwerer haben. Mein Lebenslauf spiegelt nicht wider, wie viel Zeit ich an Krankenhausaufenthalte, ständige Arzttermine oder die tägliche Therapie verliere. Ich beantworte oft auch Mails, wenn ich eigentlich krankgeschrieben bin und habe auch schon aus dem Krankenhaus an einer Videokonferenz teilgenommen. An den Tagen, wo mir die CF-Symptome zu schaffen machen, kann ich nicht konzentriert schreiben oder Texte lesen und schaffe so entsprechend weniger.
Hochschulen sind oft kein barrierefreier Arbeitsplatz und der Kampf um Barrierefreiheit frisst Kraft und Zeit, die man eigentlich bräuchte, um Konferenzvorträge oder Artikel zu schreiben. Dank Corona ist es momentan leichter für mich, an digitalen Tagungen teilzunehmen, aber vorher habe ich mir oft zweimal überlegt, ob ich es schaffe, auf eine mehrtägige Tagung in eine andere Stadt zu fahren. (Die Kosten für diese Reisen trage ich übrigens größtenteils selbst).
Vermutlich müsste ich für eine Zukunft an der Uni nach der Promotion an eine andere Universität wechseln. Es würde mir aber mehr als schwerfallen, mir dann gegebenenfalls eine neue CF-Ambulanz zu suchen. Auch meinen Hausarzt möchte ich ungern wechseln müssen.
All diese Punkte führen dazu, dass es behinderte Wissenschaftler*innen besonders schwer haben, sich in der Hochschulwelt gegenüber nicht behinderten Bewerber*innen zu behaupten. Es ist deshalb nicht klar, wie viele von vornherein ganz auf das Arbeiten an der Uni verzichten. Trotzdem gibt es eine ganze Menge anderer Wissenschaftler*innen, die auch mit (oder vielleicht trotz) einer chronischen Erkrankung an der Uni arbeiten, lehren und forschen.[5]
Obwohl es ein toller, erfüllender Job ist, kann ich als CF-Patientin nur dazu raten, sich gut zu überlegen, in die Wissenschaft zu gehen, da man dort langfristig mit unsicheren Arbeitsbedingungen und hohen Anforderungen zurechtkommen muss.
Tatsächlich habe ich mich zu Beginn meines Studiums oft damit getröstet, dass ich ja sowieso nicht weiß, wie alt ich werde, und dann eben jetzt einfach das mache, worauf ich Lust habe. Seitdem sich meine Gesundheit durch Kaftrio immens verbessert hat, denke ich ein wenig anders darüber und mache mir mehr Gedanken um meine Zukunft. Ich bin mir sicher, dass ich auch außerhalb der Uni eine zufriedenstellende Arbeit finden könnte, aber ich wünschte wirklich, ich würde eine Möglichkeit finden, an der Uni zu bleiben und dort weiter zu amerikanischer Literatur, Comics, und Behinderung zu lehren und zu forschen. Vielleicht verbessert solches Engagement auf lange Sicht ja auch die Bedingungen für kommende Studierende und Wissenschaftler*innen.
Dorothee Marx (Jahrgang 1988) ist Mukoviszidose-Patientin und wissenschaftlicher Mitarbeiterin am Lehrstuhl für North American Studies der Universität Kiel. Sie forscht und lehrt dort zu Behinderung und chronischer Erkrankung in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Darüber hinaus engagiert sich für Gleichstellung und Diversität an Hochschulen und in der Gesellschaft. Sie twittert über das Leben mit CF als @Dori_Kiel.
[2] Beim Deutschen Studentenwerk kann man sich über das Studium mit Behinderung informieren
[3] Zum TAZ-Artikel über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
[4] Den Artikel gibt es kostenlos hier
[5] Es gibt sogar eine neu gegründete englischsprachige Gruppe von Wissenschaftler*innen mit Mukoviszidose (angesiedelt an der Universität Sheffield), das Cystic Fibrosis Researchers‘ Network
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose