Liebe Frau Dr. Barth, Sie verfügen über jahrelange Erfahrung in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Mukoviszidose (Cystische Fibrose, CF). Können Sie sich noch an Ihren ersten Berührungspunkt mit der seltenen Stoffwechselkrankheit erinnern?
Sandra Barth: Mein erster Mukoviszidose-Moment ist viele, viele Jahre her. Damals habe ich als junge Assistenzärztin angefangen, auf der Infektionsstation zu arbeiten und betreute eine Familie aus dem Kosovo. Das neugeborene Mädchen hatte wie das mittlere Geschwisterchen, ein Junge, Mukoviszidose. Die große Schwester war nicht betroffen. Schon damals ist mir diese Familie sehr ans Herz gewachsen, da sie mit den Herausforderungen der Erkrankung und dem neuen Leben in Deutschland zu hadern hatte.
Zwischenzeitlich bin ich zur Endokrinologie gewechselt und der Kontakt wurde spärlich. Nachdem meine eigenen Kinder dann aus dem Gröbsten heraus waren, ergab ein glücklicher Umstand, dass ich 2014 in die pneumologische Abteilung im Haus gewechselt bin. Nun können meine ärztlichen Kollegen und ich u.a. diese Familie wieder sehr intensiv, und natürlich gemeinsam mit dem gesamten Muko-Team, begleiten.
Fällt das Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose bei einem Kind nach Geburt positiv aus, wird es erstmals mit seinen Eltern bei Ihnen in der Ambulanz vorstellig. Wie holen Sie und Ihr Team die Familie in dieser für sie aufrührenden Zeit ab?
Sandra Barth: Sobald sich eine Familie telefonisch bei uns meldet, nachdem sie vom Geburtshelfer über das auffällige Neugeborenen-Screening informiert wurde*, versuchen wir zeitnah einen Termin zur Schweißchlorid-Messung zu vereinbaren. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass möglichst kein Wochenende oder gar mehrere Tage bis zum Termin folgen. Das ist in Zeiten von Personalmangel und Überlastungsanzeichen nicht immer möglich, aber ich finde, es sollte Vorrang haben. Die Erfahrung zeigt, dass ein möglichst unbefangener und „ungegoogelter“ Einstieg in die Mukoviszidose von langem Nutzen für eine gute Ärzte-Patienten-Beziehung und ein Gelingen der Therapie ist. Hier spreche ich ausdrücklich für unser gesamtes Team.
Muss dann nach einem zweiten auffälligen, eindeutigen Schweißtest die Diagnose gestellt werden, setzen sich zwei Team-Mitglieder (Arzt/Ärztin und/oder Ernährungstherapeutin/Psychologin) in Ruhe und ohne (!) Telefon mit der Familie zum Erstgespräch zusammen. Wir versuchen eine klar strukturierte, nicht zu detaillierte und einfühlsame Erklärung der Erkrankung zu geben. Es bleibt Zeit, Emotionen abzufangen. Eine „Überladung“ dieses ersten Termins ist ungünstig. Daher vereinbaren wir einen raschen Folgetermin, meist binnen einer Woche. Dann haben die Eltern erfahrungsgemäß viele Fragen und es gibt mehr zeitlichen Raum, das Gesagte ankommen zu lassen. Darauf folgen dann Termine zur Anleitung der Atemtherapie/Inhalationen, Sozialrechtliche Beratung, Kontrolle des Gewichtes usw.
Die Behandler-Patient-Beziehung profitiert fast immer ungemein von diesem Vorgehen. Dennoch ist es auch wichtig, ein gutes Auge auf die individuelle familiäre Konstellation zu haben und diese ggf. anzupassen.
Im Zeitalter des Internets sowie der Social Media- und KI-Angebote ist es jederzeit möglich, schnell an Informationen zu jeglichen Themen zu gelangen.
Wie informiert treten die Eltern bei Ihnen bei Ihren ersten Besuch bei Ihnen auf?
Sandra Barth: Trotz unseres Ablaufes ist es natürlich so, dass ein Großteil der Eltern auf genau diese Quellen zurückgreift – es würde uns wahrscheinlich genauso gehen. Nur wenige kommen und sagen: „Wir haben bewusst nicht gegoogelt, erzählen Sie uns bitte…!“ Und ich habe auch schon lange nicht mehr gehört: „Ab wann braucht mein Kind denn jetzt Sauerstoff?“
Der Mukoviszidose e.V. bietet für Eltern, deren Kinder vor Kurzem diagnostiziert wurden, sowie Eltern mit Kleinkindern, die an Mukoviszidose erkrankt sind, Online-Eltern-Seminare an, die den Angehörigen das notwendige Wissen vermitteln, ihren Familienalltag mit CF zu meistern. Sie begleiten das Format, indem Sie die teilnehmenden Eltern in die medizinischen Grundlagen der Mukoviszidose einführen. Stellen Sie während Ihrer Ambulanztermine Unterschiede zwischen ehemaligen Teilnehmenden des Seminars und Nicht-Teilnehmern fest?
Sandra Barth: Wie bei allen chronischen Erkrankungen stellt sich im Laufe der ersten Monate bis Jahre für die Familien eine Normalität im Umgang mit CF ein – und dies nicht zuletzt, weil wir mehr Zeit für unsere Patienten haben und die Ambulanztermine auch immer wieder für ausreichende Erklärungen nutzen. Die Eltern, die früh an Info-Veranstaltungen wie z.B. dem Online-Eltern-Seminar teilgenommen haben, sind informierter, haben einen Wissensvorsprung bei der Krankheitsentstehung und bei den Therapiemöglichkeiten. Am allerbesten ist, dass ein pragmatischer Umgang mit Hygienemaßnahmen und ein alltagstaugliches Familienleben starten kann, wenn durch die Information im Seminar allzu beeinträchtigende „Keimsorgen“ abgefangen werden konnten.
Ihre Ambulanz bietet ein breites diagnostisches und therapeutisches Angebot an und wurde vom Mukoviszidose e.V. als Zentrum mit besonderer Kompetenz zertifiziert. Was bedeutet es für die Arbeit Ihres Teams, gewissen Qualitätskriterien bei der Behandlung zu entsprechen?
Sandra Barth: Für mich bedeutet es Wissen, Sicherheit, Kollegialität, Gleichberechtigung. Ich liebe meine Arbeit und gehe tatsächlich noch jeden Morgen sehr gern in die Klinik, ungeachtet der Mängel, die uns alle in diesen Zeiten begleiten – und ich denke, das liegt zu sehr großen Teilen am TEAM!!!! Wenn ich nur aufgrund meines ärztlichen Wissens Menschen mit Mukoviszidose erfolgreich behandeln wollte, stände ich allein auf weiter Flur.
Fällt Ihnen spontan eine heikle Situation ein, bei der im besonderen Maße das Zusammenspiel aller Beteiligten in Ihrem interdisziplinären Behandlungsteam gefordert war?
Sandra Barth: Na klar, mehrere. Zum Beispiel, als eine kleine Patientin von jetzt auf gleich, ganz selbstbewusst, beschlossen hatte, sie könne keine Lipase mehr nehmen, waren wir alle gefordert! Da wäre ich mit meiner ärztlichen Kunst ziemlich verloren gewesen, hätten wir nicht alle zusammen, also Ernährung und Familienpsychologie, eine Strategie entwickelt.
Seit 2020 ist die Wirkstoffkombination aus Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor (Handelsname Kaftrio®) in Deutschland zugelassen. Von diesem hochwirksamen Medikament profitieren Patienten mit der häufigsten Mutation des CFTR-Gens, einer F508del-Mutation. Ende 2023 wurde die Zulassung von Kaftrio in einer Kombinationsbehandlung mit Ivacaftor für die Behandlung von Kindern mit Mukoviszidose im Alter von zwei bis fünf Jahren erweitert. Machen sich die Effekte dieser Entwicklung in Ihrer täglichen Arbeit bereits bemerkbar?
Sandra Barth: Oh ja, natürlich. Die allermeisten Patienten profitieren ohne Nebenwirkungen und über das Maß eines bisherigen Krankheitsverlaufes hinaus von den Modulatoren. Meinen Patienten geht es sehr gut und das ist wunderbar, stellt mich als Behandlerin aber auch vor völlig neue Herausforderungen. Früher bestand meine Hauptaufgabe darin, kranke Kinder und deren Familien an die Therapie heranzuführen, zu begleiten, immer ein offenes Ohr zu haben und letztlich damit eine gute Prognose zu erwirken.
Heute fordert mich eine ähnliche aber doch auch ganz anders geartete Challenge. Ich berate Eltern offensichtlich gesunder Säuglinge und Kleinkinder, doch zu inhalieren und doch zur Physiotherapie zu gehen, zu jeder Mahlzeit Lipase einzunehmen und nicht alles nur dem Modulator zu überlassen. Weiterhin sind wir Mukoviszidose-Zentren erster Anlaufpunkt für unsere Patienten, weiterhin brauchen wir ein offenes Ohr für die individuelle Entwicklung eines Menschen mit einer chronischen Erkrankung.
Sie sind selbst Mitglied im Mukoviszidose e.V. Der Mukoviszidose e.V. finanziert seine Unterstützungsprojekte für Menschen mit Mukoviszidose und deren Angehörige überwiegend aus Spenden. Was würden Sie einer Person raten, die noch unentschlossen ist, ob sie/er für die Arbeit des Mukoviszidose e.V. spenden möchte?
Sandra Barth: Ich rate Eltern sehr gern dazu, sich Informationen auf der Webseite des Mukoviszidose e.V. zu holen – dort finden sie alles fundiert, übersichtlich und zum Downloaden. Die Informationen sind patientennah aufbereitet, eine absolut tragfähige Quelle. Die Spendengelder kommen Erkrankten sowie wissenschaftlicher und klinischer Forschung zur Mukoviszidose zugute.
Ein Beispiel zur Verwendung der Spendengelder sind die Online-Eltern-Seminare, von denen wir gerade gesprochen haben. Davon profitieren Familien in der ersten aufwühlenden Zeit doch maßgeblich. Das alles sind gute Gründe, für den Mukoviszidose e.V. zu spenden.
Liebe Frau Dr. Barth, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Marc Taistra.
Das nächste Online-Eltern-Seminar „Unser Kind hat Mukoviszidose – was tun?“ startet am 8. November 2024.
* Das Verfahren für das Neugeborenen-Screening wird sich zum Jahr 2025 ändern, hier ist noch das alte Verfahren beschrieben.
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