Mein Älterwerden mit Mukoviszidose sollte sich im November 2020 schlagartig ändern – der Start meiner Kaftrio-Therapie stand bevor. Wie sich Kaftrio auf mich und mein Leben, und damit verbunden auf mein Älterwerden, auswirkt, lässt sich einfach zusammenfassen: Zeit und Kraft. Das Medikament schenkt mir neben der Zeit, mein Leben so zu gestalten, wie ich es wirklich möchte, auch die Kraft, alles, was ich mir dabei auf diesem Weg vornehme, zu erreichen.
In Bezug auf meine körperliche Verfassung war bzw. ist Kaftrio ein absoluter Gamechanger. Bevor ich im November 2020 die erste “Wunderpille” geschluckt hatte, sah es düster aus: 2019 (zu der Zeit war ich 27 Jahre alt) lag meine Lungenfunktion (FEV1) bei knapp unter 40%. Jedes Treppensteigen war mit heftiger Atemnot verbunden; jeden Morgen verbrachte ich mindestens 30 Minuten im Bad, um den angesammelten Schleim abzuhusten; und an Sport war überhaupt nicht mehr zu denken. Davon, dass ich bis zu meinem 25. Lebensjahr durchgehend Fußball gespielt und mich dadurch gut “in Schuss” gehalten hatte, war nichts mehr zu sehen. Auch Symkevi, mit dem ich zwischenzeitlich angefangen hatte, brachte trotz einer Stabilisierung meines Zustands keine großen Erfolge.
Ich will nicht sagen, dass ich zum Start der Therapie all meine Hoffnungen in die zwei rosafarbenen Pillen gesteckt habe – aber ohne sie würde ich heute garantiert nicht so fit hier sitzend diese Zeilen schreiben. Denn nach der ersten Einnahme verbesserte sich innerhalb weniger Wochen meine Lungenfunktion auf knapp 75% (eingependelt habe ich mich Stand heute bei ~70%), und in den folgenden Monaten nahm ich (auch durch regelmäßigen Kraftsport) gut 10 Kilogramm zu. Ich war motivierter, leistungsfähiger, belastbarer – endlich konnte ich meinen Körper wieder “nutzen” und mich lebendig fühlen. Was trotz Mukoviszidose möglich ist, bewies ich mir und meinem Umfeld, als ich mir zwei Tage vor meinem 30. Geburtstag meinen großen Traum erfüllte und gemeinsam mit meiner Partnerin die Zugspitze an einem Tag erwanderte: Knapp 26 Kilometer Strecke, 2.200 Höhenmeter, und neuneinhalb Stunden, die es in sich hatten – sich aber so sehr gelohnt haben. Heute gehören Fahrrad- statt Autofahren, Joggen und der dreimal wöchentliche Gang ins Fitnessstudio zu meinem Alltag.
Mit dem körperlichen Aufschwung ging auch eine deutliche Verbesserung meines mentalen Zustands einher, und ich begann, mir Gedanken um die Zukunft zu machen – und zwar so richtig. Ich weiß nicht, wie es anderen Mukos dabei geht, aber ich habe während meiner schlechten Phase kaum einen Gedanken an die Zukunft verschwendet. Ich lebte von Tag zu Tag und war in meiner Beziehung sowie im Job so weit so glücklich – so glücklich, wie man eben sein kann, wenn man kaum ein Treffen mit Freunden oder einen Tag im Büro ohne zwei, drei Hustenanfälle durchsteht und man merkt, wie sich der eigene Zustand stetig verschlechtert. Heute vermute ich, dass ich mich damals durch das fehlende Nach-Vorne-Schauen selbst geschützt habe, da ich ehrlicherweise nur Dunkelheit gesehen habe.
Durch Kaftrio erlaube ich mir nun, wirklich in die Zukunft zu schauen, mein Leben in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen, die langfristig ausgelegt sind. Da wäre vor allem die Frage, ob ich Vater werden möchte. Auch das ist als Mukoviszidose-Betroffener natürlich viel herausfordernder als auf dem klassischen Weg, aber allein die Tatsache, dass ich mir diese Frage nun stellen kann und möchte, zeigt, wie gesund ich nun bin bzw. was nun alles möglich ist. Bis zur Einnahme von Kaftrio habe ich mir diese Frage nie ernsthaft gestellt, da ich mir nicht vorstellen konnte, in meiner körperlichen Verfassung und mit den Aussichten genug Kraft für die Rolle und Verantwortung als Vater zu haben.
Auch im Beruf kann ich mir mittlerweile sehr genau überlegen, was ich wirklich “mein Leben lang” machen möchte und entsprechend handeln. So habe ich meinen Job in einer Performance-Marketing-Agentur nach sechs Jahren gekündigt, um ein Fernstudium zum Ernährungsberater zu machen. Die Vorstellung, Menschen dabei zu unterstützen, wie sie sich mithilfe einer gesunden und vollwertigen Ernährung wohler in ihrem Körper fühlen, treibt mich Tag für Tag an – vor allem, weil auch ich am eigenen Leib erfahren habe, welche Bedeutung eine gesunde & ausgewogene Ernährung für die eigene Gesundheit hat. Auch wenn die Selbstständigkeit, gerade als Mukoviszidose-Betroffener, sehr herausfordernd sein kann, traue ich mir diese Tätigkeit zu. Und das Schöne: Sollte die berufliche Umorientierung nicht funktionieren, kann ich jederzeit zurück ins Marketing und habe entsprechend keine Zeit verloren – denn die habe ich dank Kaftrio jetzt genug.
Marvin
Alle Geschichten zum Thema Älterwerden mit CF im Mukoviszidose Monat Mai
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose