Sie sind in den Jahren 2011 bis 2014 mit dem Fahrrad bis nach Istanbul gefahren. Wie ist diese außergewöhnliche Idee entstanden?
Die Grundidee entstand bereits 2010. Ich war beruflich sehr eingespannt, hatte unglaublich viel zu tun und fühlte mich am Ende meiner Kräfte. Abends setzte ich mich manchmal einfach aufs Fahrrad und drehte kleine Runden – ein bisschen Bewegung, ein bisschen Ruhe, um wieder herunterzukommen.
Eines Abends saß ich auf einer Bank, als der Tau schon fiel und alles um mich herum feucht wurde, und fragte mich: Soll das wirklich mein Leben sein? Jeden Tag auf die Arbeit zu gehen und in diesem Teufelskreis zu bleiben? Ich wusste: So kann es nicht weitergehen. Und dann kam mir der Gedanke: Radfahren macht mir Freude – warum nicht daraus etwas Größeres machen? Am besten verbunden mit einem guten Zweck.
Ich hatte schon Jahre zuvor Kontakt mit Menschen mit Mukoviszidose, und da war für mich klar: Wenn ich eine große Tour mache, dann sammle ich Spenden für sie. Wenig später, im Urlaub, entdeckte ich zufällig ein kleines Schild: EuroVelo 6. Diese internationale Radroute führt quer durch Europa bis ans Schwarze Meer. In diesem Moment wusste ich: Genau diese Strecke will ich fahren – von der Loire bis ans Schwarze Meer. Das hat die nächsten Jahre sehr geprägt.

Sie hatten also schon vor der Reise Berührungspunkte mit Mukoviszidose. Wie kam es dazu?
Ja, das war schon rund zehn Jahre vorher. Ich selbst oder meine Familie haben keine Verbindung zur Krankheit, aber durch meinen damaligen Beruf als Hoteldirektor kam der Kontakt zustande. Im Konzern fand jedes Jahr ein Benefiztag zugunsten der Christiane Herzog-Stiftung statt. Eines Tages luden wir die Mukoviszidose-Selbsthilfegruppe aus Kassel zu diesem Firmentag ein.
Dort lernte ich Eltern kennen, die genauso alt waren wie meine Frau und ich. Ihre Kinder waren im Alter meiner Tochter – sechs, sieben Jahre alt. Und dann hörte ich: Diese Kinder haben eine Lebenserwartung von vielleicht 15 bis 17 Jahren. Das hat mich unglaublich erschüttert.
Von da an habe ich den Kontakt gehalten. Ich habe miterlebt, wie die Kinder größer wurden, wie sie kämpften und was das für die Familien bedeutete. Gleichzeitig sah ich meine eigenen Kinder gesund aufwachsen. Dieser Gegensatz hat mich tief bewegt. Für mich war klar: Ich möchte etwas zurückgeben und helfen.
Und dann kam die Reise nach Istanbul. Sie haben Spenden für die Mukoviszidose Selbsthilfe Kassel e.V. gesammelt. Wie hat das funktioniert?
Ich wollte mit kleinen Dingen etwas bewegen. Ich habe unterwegs jeden Tag kleine Reiseberichte geschrieben – meine sogenannten „Gute-Nacht-Geschichten“. Freunde, Kollegen, Bekannte haben mitgelesen und sozusagen die Tour begleitet. Immer wieder habe ich auch kleine Aufrufe eingebaut: „Heute sind wieder 100 Kilometer geschafft – vielleicht ist das ein Anlass, einen kleinen Beitrag zu spenden?“
Außerdem habe ich unterwegs Trinkgelder gesammelt. Alles, was ich bekam, kam in meine Spardose und wurde am Ende auf das Spendenkonto überwiesen. Auch meine Kolleginnen und Kollegen haben mitgemacht – sie haben immer wieder kleine Scheine in die Dose gelegt. Letztlich habe ich auch meine Urlaube danach ausgerichtet, wieder Fahrrad zu fahren, um weiter Spenden zu sammeln.
So hat sich das Ganze summiert. Bislang sind über 15.000 Euro zusammengekommen – das war der Stand vor ein paar Jahren. Das hätte ich zu Beginn nie für möglich gehalten. Ich habe etwas bewirkt und darauf bin ich stolz.
Gab es Erlebnisse unterwegs, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Da könnte ich unzählige Geschichten erzählen!
Ganz am Anfang bin ich einmal einer französischen Schulklasse hinterhergefahren, die „Bruder Jakob“ auf Französisch gesungen haben. Dieser Kanon hat mich dann den ganzen Tag begleitet, auch die Gelassenheit der Kinder, die Natur, die Loire.
Eine kleine Szene in Rumänien hat mich besonders berührt: Ich fuhr durch ein Dorf und sah eine alte Dame, die vor ihrem Haus mit Hingabe ein winziges Beet pflegte. Sie strahlte dabei so viel Stolz und Freude aus. Für mich war das ein Moment, der zeigte: Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein.
Einmal war ich morgens in einer kleinen Pension in Rumänien oder Bulgarien. Ich trank einen Kaffee und fragte nach Milch. Das Mädchen dort sah mich entschuldigend an – sie hatte keine Milch. Und auch das hat mich beeindruckt und demütig gemacht.

Das klingt nach vielen intensiven Erfahrungen. Sind Sie dabei auch an Ihre körperlichen Grenzen gestoßen?
Ja, und zwar fast täglich. Am Anfang war es besonders hart: Ich hatte 17 Kilo Gepäck dabei und selbst knapp 100 Kilo Körpergewicht und ich hatte kein E-Bike. Jeder kleine Hügel wurde zur Herausforderung. Dabei habe ich oft an Menschen mit Mukoviszidose gedacht, die ja auch Schwierigkeiten beim Atmen haben.
Dazu kamen extreme Wetterbedingungen – von eisiger Kälte mit gefrorenen Wasserflaschen bis hin zu sengender Hitze mit über 40 Grad.
Einmal war ich in Bulgarien bei 40 Grad unterwegs, eine endlose Steigung, kein Baum, kein Schatten, nur Asphalt. Da stößt man an seine körperlichen Grenzen. Und doch habe ich gelernt: Schritt für Schritt, Tritt für Tritt geht es weiter – bis man irgendwann oben ist.
Und dann war da noch der Gegenwind – ein ständiger Begleiter, der einem die Kraft rauben kann. In solchen Momenten hilft nur Durchhalten. Ich habe mir oft gesagt: „Atmen, weiterfahren, du schaffst das.“
Sie haben gerade ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben. Wie ist es dazu gekommen?
Viele Leute sagten mir nach meinen Erzählungen: „Du hast so viel erlebt, das musst Du aufschreiben!“ Lange habe ich gezögert, aber vor zwei, drei Jahren habe ich meine Reiseberichte gesammelt, meine Internetseite angeschaut, ergänzt und mit Fotos verbunden. Daraus entstand schließlich das Buch.
Im Untertitel des Buches steht „Begegnungen mit Menschen, Natur und mir selbst“. Wie hat die Reise, über die Sie berichten, Sie näher zu sich geführt und was haben Sie daraus für Ihr anschließendes Leben mitgenommen?
Vor allem Dankbarkeit, Entschleunigung. Ich habe gelernt, die kleinen Dinge zu schätzen: ein freundlicher Blick, ein Sonnenaufgang, der Duft von frisch geschlagenem Holz.
Ich habe auch gelernt, langsamer zu werden, innezuhalten, nicht immer nur durch den Alltag zu hetzen. Ich genieße es, auf einer Bank zu sitzen, die Augen zu schließen, den Vögeln zuzuhören – das ist für mich heute ein Stück Lebensqualität. Das freie Durchatmen, der Herzenswunsch der an Mukoviszidose erkrankten Menschen, weiß ich viel mehr zu schätzen. Und ich habe begriffen, wie wertvoll Gesundheit ist. Das ist nicht selbstverständlich.
Zum Schluss: Was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern noch mitgeben?
Ich möchte Mut machen, sich Ziele zu setzen. Es müssen nicht gleich 3.000 Kilometer mit dem Fahrrad sein. Auch kleine Ziele können das Leben verändern. Wichtig ist, an sich zu glauben und nicht aufzugeben.
Ich erinnere mich an einen besonderen Moment: Vor der großen Brücke am Bosporus. Die Höhe, die Länge, das Ungewisse dahinter – alles war beängstigend. Aber ich habe es geschafft. Und als ich auf der anderen Seite stand, war da dieses Gefühl: „Du hast es geschafft, das Leben ist ein Geschenk.“
Und dieses Geschenk dürfen wir jeden Tag neu auspacken.
Wir danken Ihnen herzlich für dieses bewegende Gespräch und Ihr großes Engagement für Menschen mit Mukoviszidose!
Das Interview führte Juliane Tiedt.

Über seine Reise hat Robert Bayer ein Buch geschrieben, mit dem er ebenso Spenden für Menschen mit Mukoviszidose sammelt. Das Buch kann bei Books on Demand und bei Amazon erworben werden oder im Buchhandel bestellt und erworben werden.
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