Als ich 1949 geboren wurde, hatten meine Eltern bereits einen drei Jahre alten Sohn.
Wir waren beide gut entwickelte Kinder und schienen gesund zu sein. Ich kann mich nicht erinnern, wann mein Bruder auffällig wurde. Er hustete viel, magerte ab und machte Atemgymnastik, die ihm sein Lungenarzt angeraten hatte.
Es mag 1955 gewesen sein, und die Mukoviszidose – später kurz CF genannt – war so gut wie unbekannt. Lothar (mein Bruder) hatte das große Glück, einen sehr engagierten Lungenarzt zu finden, der sich ständig weiterbildete und bestimmte Fälle im Kollegenkreis besprach. Doch Medikamente gab es für Lothar damals noch nicht. Ich erinnere mich gut an den hustenden und oft Blut spuckenden Bruder. Häufig fehlte er in der Schule, da er nach Davos oder St. Peter-Ording verschickt wurde.
Es gab damals auch noch keine Gen-Tests, und es war nicht bekannt, dass CF eine Erbkrankheit ist, die von beiden Elternteilen gemeinsam übertragen wird. Daher machten sich meine Eltern keinerlei Gedanken um mich. Ich schien gesund, immer ein wenig rundlich – was sich erst in der Pubertät ändern sollte – und war eine gute Schülerin.
Trotz seiner schweren Krankheit beendete Lothar die Schule, machte eine Lehre und begann voll zu arbeiten. Er war sehr beliebt, hatte viele Freunde, machte mit ihnen gern Musik und liebte das Leben von ganzem Herzen.
Mit Beginn der Pubertät begannen auch bei mir die ersten Schwierigkeiten. Wenn ich aus der Schule heimkam, wartete meine Mutter immer mit dem Essen auf mich. Nach jeder Mahlzeit begann die Husterei. Es war häufig so arg, dass der Mageninhalt wieder rauskam. Entsprechend wurde ich schlank und schlanker, bis meine Mutter mich zu einem Lungenarzt schleppte. Wir waren inzwischen umgezogen, daher war Lothars guter Arzt nicht in Reichweite. Der neue Herr Doktor äußerte den Verdacht, dass ich nur auf mich aufmerksam machen wollte, da ich so gesund und der Bruder doch so krank sei. Entsprechend erhielt ich natürlich weniger Aufmerksamkeit. Aber die Husterei hört dann irgendwann eh von allein auf.
Etwas später fiel ich bei einer Reihen-Röntgenuntersuchung auf. Mit dem Verdacht auf Tuberkulose wurde ich in eine geschlossene TBC-Klinik eingewiesen. Der anfängliche Verdacht bestätigte sich nicht, doch man war neugierig und testete drei Wochen an mir herum. Dazu gehörte auch endlich ein Schweißtest, der damals ein wenig anders ablief als heute. Man steckte mich nach einem heißen Bad in einen riesigen Plastiksack, der am Hals zugebunden wurde. Dann bekam ich heißen Tee und Aspirin eingeflößt, was heftige Schweißausbrüche zur Folge hatte. Nach einer Stunde schnitt jemand den Plastiksack auf und schöpfte den Schweiß ab. Während dieses Krankenhausaufenthaltes nahm ich 15 Kilo ab.
Endlich also kam ein Mediziner auf die Lösung: Mukoviszidose! Meine Eltern wurden darum gebeten, das „Kind“ (ich war 16!!!) doch noch einige Zeit zum Testen behalten zu dürfen, da ich ein einmaliger Fall sei. Meine Eltern überließen mir die Entscheidung, und ich gab dem Krankenhaus eine weitere Woche Zeit, nicht mehr.
Nun war also klar: Mein Bruder und ich hatten beide CF. Doch der Unterschied war erheblich. Er war sehr dünn, musste inzwischen jeden Morgen inhalieren – in seinem Zimmer stand eine riesige Sauerstoffflasche mit einem Aufsatz der amerikanischen Firma „Bird“. Er atmete praktisch jeden Morgen hochprozentigen Sauerstoff und war entsprechend am Frühstückstisch kaum zu ertragen. Er war aufgedreht und lachte viel. Wäre er nicht so mager und wäre da nicht immer dieser Husten – man hätte nie gedacht, dass Lothar krank ist.
Damals wurde man erst mit 21 Jahren mündig, doch ich verließ mein Elternhaus bereits mit 20 und bezog ein Zimmer in einer WG. Zwei Jahre später hatte ich schon eine schöne Wohnung und einen gut bezahlten Job. Mein Bruder heiratete. Alles schien so unglaublich normal.
Ich ging für ein Jahr nach Istanbul und hatte dort sogar ein Jobangebot. Trotzdem zog es mich zurück nach Hamburg.
Meinem Bruder ging es leider schlechter und er musste uns bereits mit 38 Jahren verlassen. Für die damalige Zeit war er ein Sonderfall, denn die Lebenserwartung lag um die 8 Jahre.
Mit 40 zog ich nach Spanien und arbeitete dort über 20 Jahre lang bei einem spanischen Anwalt. Dort begannen dann auch die ersten richtigen Probleme. Es war aber nicht meine Lunge, obwohl ich leidenschaftliche Raucherin war. Nein, mein Ärger begann im Bauch. Schmerzen bis zum Erbrechen, im wahrsten Sinne des Wortes. Nachdem ich das ein Jahr ausgehalten hatte, begannen die endlosen Darmspiegelungen. Keine kam sehr weit und es war irre schmerzhaft, da ohne Sedierung durchgeführt. Die allgemeine Diagnose lautete „Colitis Ulcerosa“, und man könne nicht operieren, da ich sonst kurze Zeit später dasselbe Problem wieder hätte. Zu den Spitzenzeiten bekam ich 60 mg Cortison am Tag. Entsprechend sah ich aus.
Irgendwann lieferte ich mich selbst ins Krankenhaus ein, und wieder begleitete mich mein Schutzengel. Man schnitt mich nicht gleich auf, sondern schickte mich durchs CT (das gab es inzwischen). Man fand große Eitereinlagerungen im Bauchraum. Es wurden Drainagen gelegt, damit Spülungen gemacht werden konnten. Endlich folgte die Operation. 20 cm des Colons wurden entfernt, da sich dort ein kartoffelgroßer Polyp breitgemacht hatte. Der Arzt meinte, er hätte noch nie so einen riesigen Polypen gesehen. Da die langsam wachsen, müsste ich den schon bei der Geburt gehabt haben.
Den Polypen war ich los – die Bauchschmerzen begleiten mich allerdings bis heute.
2001 konnte ich mir meinen ersten PC leisten. Ich war um die 50 und hatte noch keine Ahnung vom Internet. Da ich jedoch einen besser bezahlten Job suchte, musste ich am Computer fit sein. Nicht nur beruflich brachte mich die Technik weiter, auch was mein Wissen über CF (in Spanien FC genannt) betraf. Alle schienen davon auszugehen, dass es sich bei CF um eine Lungenkrankheit handelt – übrigens nicht nur in Spanien. So positiv es auch ist, sich über alles informieren zu können, so bringt es auch einige Nachteile mit sich. Einer davon war bei mir die Erkenntnis, dass ich eine tödliche Krankheit hatte. Es begannen die Angststörungen...Ein Jahr später folgte eine heftige Gallenkolik. Im Krankenhaus wurde die Gallenblase entfernt, da sie praktisch nur noch aus Steinen bestand.
Inzwischen war ich in ein kleines Landhaus umgezogen, romantisch gelegen zwischen Mandelbäumen und Weinbergen, aber leider feucht. Das bemerkte ich erst 2005 als eine Arbeitskollegin mich aus dem Schlaf rüttelte. Sie fragte, warum ich zwischen Weihnachten und Silvester nicht im Büro erschienen war. Verständnislos schaute ich sie an. Erinnern konnte ich mich an Heiligabend, an dem ich mit einer heftigen Erkältung in mein klammes Bett ging. Im Schlafzimmer waren im Winter 14 und im Sommer 38° - wir hatten Winter! Da der Husten mich nicht schlafen ließ, hatte ich Kodein genommen. Der nicht ausgehustete Schleim blieb in der Lunge, meine Sauerstoffsättigung war schlecht, und ich hatte einen Fadenriss von fast einer Woche. Meine Kollegin merkte, dass etwas absolut nicht stimmte. Sie riss mich aus dem Bett, half mir in die Klamotten und brachte mich ins nächste Krankenhaus. Später erfuhr ich dann alles genauer. Die Sättigung lag bei der Einlieferung unter 70% und keiner wusste, wie lange das schon so ging. Dem Himmel sei Dank hatte mein Hirn nicht darunter gelitten (soweit ich weiß…). Bei meiner Entlassung ein paar Tage später fragte ich den Arzt, ob das alles etwas mit meiner Raucherei zu tun hätte. Er verneinte, machte mir aber natürlich sofort klar, dass Rauchen ungesund ist. So hatte ich Heiligabend 2004 meine letzte Zigarette geraucht.
Das Leben ging weiter. Ich hatte einen sehr guten Job und nun ein Häuschen in einer Urbanisation – nett, sauber und trocken. Alles lief perfekt, bis ich 2008 Probleme mit der Leber bekam. Ich ging zum Check in mein Lieblingshospital. Nach einer Blutabnahme wartete ich überaus lange auf das Ergebnis. Endlich fragte ich eine Schwester, warum das sich so zog. Sie meinte: „Gedulden Sie sich – wir sind gerade dabei zu versuchen, Ihr Leben zu retten!“
Ich hielt das für einen Witz. Mir ging es auch schon wieder viel besser, und ich wollte gern heim. Endlich kam die Ärztin mit ernstem Gesicht und meinte es täte ihr leid, aber ich hätte einen Klatskin-Tumor. Sie können dort nichts mehr für mich tun. Auf den Schock ging ich erst einmal in die Krankenhauskantine und trank ein Glas Rotwein.
Daheim setzte ich mich an den PC und erforschte den „Klatskin-Tumor“. Es war nicht erbaulich, was ich dort las. Meine private Krankenkasse rief bei mir an und bat mich, nicht weiter im Privathospital behandeln zu lassen, da die mir eh nicht mehr helfen können. „Austherapiert“ nennt man das wohl...
Nun war ich ja auch noch sozialversichert durch meine Arbeit. Also recherchierte ich nach dem besten Leberchirurgen in der Region Alicante – Valencia. Und ich fand ihn: Prof. Dr. Mir vom „La Fe“ in Valencia. Dem schickte ich eine E-Mail mit dem Anhang der CD vom Privatkrankenhaus. Keine Antwort. Ich rief an – der Arzt war nicht zu sprechen und hatte auch keine Termine frei. Also fuhr ich hin und setzte mich vor sein Büro. Als seine Sekretärin kam, teilte ich ihr mit, dass ich dort so lange sitzen bleiben würde, bis ich den Arzt gesprochen hätte. Mit dieser Drohung hatte ich dann endlich Erfolg. Dr. Mir ließ bitten.
Er schaute mich an, hörte mir zu, sah in die CD und sagte mir: „Sie haben keinen Klatskin-Tumor! Ich werde es Ihnen beweisen.“
Es war ein langer Weg, bis endlich alle Untersuchungen durchgeführt wurden – Blutbild, MRT, LuFu etc. Dann endlich wurde ich operiert. Es war nach der Bauch-OP der zweite große Eingriff. Der histologische Befund war negativ. Zehn Tage später ging es nach Hause.
Also kein Klatskin-Tumor. Die Leber war voller Steine, die nicht mehr in der Gallenblase abgelegt werden konnten. Die Gallwege von der Leber in den Darm waren voller Knoten und so eng geworden, dass sich die Steine stauten. Nun hatte man diese engen Wege entfernt und die Leber direkt mit dem Zwölffingerdarm verbunden.
Inzwischen hatte mir die Lungenklinik, in der ich 1965 lag, den Arztbrief von damals geschickt. In Spanien hatte ich bereits einen Gen-Test machen lassen. Ein doppelter Beweis für meine CF. Trotzdem wollte es niemand glauben. Ich war zu alt, zu dick – so etwas gab es einfach nicht. Ein spanischer Lungenarzt meinte sogar: „Wenn Du diese Krankheit hast, dann trete ich mit Dir im Zirkus auf. Wir könnten viel Geld verdienen!“
Übrigens ist Spanien absolut nicht rückständig in Bezug auf die Medizin. Es gibt ein großes CF-Hospital, doch deren Türen blieben mir verschlossen.
Spanien befand sich inzwischen in der „Crisis“ und Ausländer verloren natürlich als erste ihre Jobs. Eh reif für die Rente, verließ ich Spanien und zog nach Österreich.
2011 musste ich in die Klinik Bruck an der Muhr. Hier wurde die Diagnose „Leberzirrhose im Endstadium“ gestellt. Ich erklärte denen, warum meine Leber so aussieht, doch die Ärztin war überzeugt von ihrer Erkenntnis. Ich verließ das Krankenhaus aus eigenem Wunsch.
Anfang 2012 hatte ich das Vergnügen mit dem Krankenhaus Wels. Ich hatte eine Tablettenvergiftung und brauchte Hilfe. Die Diagnose diesmal: „eine nochmalige Leberoperation ist lebensnotwendig“. Ich verließ das Krankenhaus, ließ die verschriebenen Infusionen von meinem Hausarzt verabreichen.
Als ich Ende 2012 mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus nach Salzburg kam, wurde eine Lungenärztin auf mich aufmerksam. Sie bat mich, nach Wiederherstellung doch noch einmal für ein paar Tage stationär in die Klinik zu kommen. Es wurde ein neuer Schweißtest gemacht – wie einfach das doch heute alles geht – und Blut für einen Gentest abgenommen. Der brachte exakt das gleiche Ergebnis wie der aus Spanien. Eine etwas merkwürdige Mutation, doch wenn man bedenkt, dass über 2.000 verschiedene Mutationen der CF bekannt sind, so bin ich wohl die Nummer 2.001.
Endlich bekam ich die richtigen Medikamente. Das für mich wichtigste war „Ursufalk“. Es besserten sich die Leberwerte.
Im Juni 2023 bin ich 74 Jahre alt geworden. Ich habe eine schöne Wohnung, kann von meinen Renten leben und hoffe, noch ein paar Jahre dranhängen zu können. Das Ergebnis der Blutuntersuchung von dieser Woche macht mir Mut.
Bedanken möchte ich mit zum Schluss ganz besonders bei der Facebook-Gruppe „Pures Leben mit CF“. Mehr als jeder Arzt es machte, wurden hier meine Fragen beantwortet. Ein Hoch auf das Internet und die sozialen Plattformen, die so einen Austausch ermöglichen.
Servus und baba
Ingeborg R. aus Austria
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose
Antworten
Danke für diesen Beitrag. Es ist manchmal mehr als man ertragen kann, daher um so wichtiger. Alle guten Wünsche!