Lieber Markus, in welchem Alter wurde bei Dir Mukoviszidose diagnostiziert?
Ich bin Jahrgang 1985. Die Krankheit wurde bei mir sehr zeitnah nach meiner Geburt diagnostiziert. Meine Mutter erzählte mir, dass ich sehr viel hustete und oft krank war. Die Kinderärzte wussten nicht weiter. Heutzutage wäre diese Frage unmittelbar nach der Geburt mithilfe eines Neugeborenen-Screenings auf Mukoviszidose sofort beantwortet worden. Damals, in den achtziger Jahren, wurde die Erforschung des CFTR-Gens noch vorangetrieben und sollte erst später in diesem Jahrzehnt entschlüsselt werden. Meine Mutter wurde von Klinik zu Klinik geschickt. Nach zahlreichen Untersuchungen und Arztbesuchen wurde schließlich festgestellt, dass ich Mukoviszidose habe.
Wie sind die Erinnerungen an Deine Kindheit? Wurde diese stark vom Therapiealltag geprägt oder blieb noch genügend Zeit, Kind zu sein?
In meiner Kindheit war ich stets der Kleinste und Schwächste. Ich war mir meiner Krankheit immer bewusst. Für mich war sie stets eine Empfindung, dass ich weniger wert sei als andere. Eine Art ständiger Begleiter eines kurzen Lebens. Diese Gewissheit hatte ich bereits zu Zeiten der Grundschule. Jedes Mal wenn ich mit Altersgenossen rausging, wurde mir dies immer klar. Ich wirkte auch immer jünger als mein Alter. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich immer bemühen musste, um akzeptiert zu werden. Mit der Krankheit gehöre man nun mal nicht dazu, Gedanken dieser Art spielten sich in meinem Kopf ab. Dass diese Krankheit, dieses „weniger sein“, eine ständige Konstante oder, anders ausgedrückt, eine unerschütterliche Wahrheit meines Lebens darstelle. Wie die Schattenbilder in Platons Höhlengleichnis waren Gedanken wie diese für mich die Realität. Die Ärzte und die damalige Medizin hatten natürlich ihren Beitrag dazu geleistet. Wenn ich mich recht erinnere, wurde meiner Mutter sehr früh unmissverständlich klargemacht, dass ich das zwölfte Lebensjahr nicht erreichen würde. Sie war damit vollkommen überfordert und wollte nur das Beste für mich. Dennoch habe ich diese Angst und Überforderung sehr früh spüren können. Eines Tages habe ich sogar als kleines Kind ein Testament aufgesetzt und meinem Bruder, der gesund ist, alles vermacht. Meine Mutter fand das nicht lustig.
Trotz alledem hatte ich lediglich eine sehr milde Form der Krankheit. Ich hatte keinerlei Probleme mit der Verdauung. Ich war zwar sehr viel anfälliger für Infekte, aber Mukoviszidose hinderte mich nicht daran, Kind zu sein. Die Therapie habe ich nahezu nicht betrieben. Wenn ich mal inhalierte, das war übrigens so ein riesiges klobiges Inhaliergerät, bei dem gefühlt das gesamte Haus durchgerüttelt wurde, dann habe ich nur Kochsalz und Atrovent inhaliert.
Meine erste IV-Therapie musste ich in der zweiten Klasse über mich ergehen lassen. Es war genau zu Karneval und ich war sehr ängstlich. Damals musste alles noch selbst gemischt werden. Für meine Mutter war dies eine sehr fordernde Zeit. Es war für mich auf der Station der Klinik aber auch das erste Mal, dass ich mit anderen Mukoviszidose-Kindern in Kontakt kam. Meiner Mutter schossen direkt die Aussagen der damaligen Ärzte durch den Kopf. Sie riss mich sofort weg und schrie mich an: „Diese Kinder sind schmutzig und machen dich krank! Bleib weg von denen!“
Die Jahre vergingen und ich musste jährlich eine IV-Therapie über mich ergehen lassen. Zu dieser Zeit wurde ich in der Mukoviszidose-Ambulanz in Bonn behandelt. Ich fühlte mich bei meiner Ärztin dort immer gut aufgehoben und habe gespürt, dass diese Frau den Kindern dort wirklich helfen wollte. Sie versuchte mir, mehr Zuversicht und Hoffnung zu geben. Meine Lebenserwartung wurde immer nach oben korrigiert. Dennoch war meine Therapietreue im Alltag praktisch nicht vorhanden. Wieso sollte ich all dies über mich ergehen lassen, wenn sowieso bald Schluss sein würde? Da half es auch nicht, wenn mir meine Ärztin etwas Anderes erzählte. Die gelernte „Realität“ meiner Kindheit war immer noch mein ständiger Begleiter. Wieso sollte ich mir also im Leben für irgendwas Mühe geben, wenn es sowieso vergebens sein würde? Mein Abitur habe ich gerade so geschafft. Nicht weil ich zu dumm war, sondern weil mir der Antrieb fehlte. All meine Altersgenossen sahen die Möglichkeiten nach dem Abitur und gingen praktisch in die Welt hinaus. Ich wollte nicht wirklich etwas machen. Aber ich fühlte, dass ich etwas machen muss. „So ist das nun mal, bzw. so machen das normale Leute!“, dachte ich mir.
Ich begann mein Studium der Rechtswissenschaft, ohne jegliche Ambition und habe nur meine Scheine erledigt, damit ich auch weiterhin BAföG erhalten konnte. Mich ließ die Angst, bzw. Gewissheit, vor der (negativen) Zukunft praktisch erstarren. Denn ich sah mich einfach nicht in zehn Jahren in einer Anwaltskanzlei, sondern in einem Sarg.
Ich hatte das Gefühl, stehen zu bleiben. Kein selbstständiger erwachsener Mann zu sein. Das wurde dadurch verstärkt, dass ich kein Geld hatte und bei meinen Eltern leben musste. Der Gedanke jemals ausziehen zu können, war absolut unmöglich. Ich fühlte mich immer wie ein kleines Kind. Weniger, kleiner, wertloser als meine Weggefährten. Im Grunde war ich immer noch das kleine Kind von damals. Überall diese Zeit hatte ich mich damit abgefunden. Ich würde niemals alt werden und ewig ein Kind bleiben. Wieso also erwachsen werden und eine Zukunft aufbauen?
2008 kam der erste Schock und es wurde ein Tumor in meiner Gallenblase und Leber diagnostiziert. Ich war am Boden zerstört. Meine Mutter war am Ende ihrer Kräfte. Mein ganzes Leben dachte ich, die Mukoviszidose würde mich kriegen und dann diese Diagnose! Wie kann das Leben so unfair sein. Wieso trifft es gerade mich? Nachdem ich nach der Operation erwachte, informierten mich die Ärzte, dass es sich lediglich um einen eingedickten Stein gehandelt hatte. Bei dem offenen Bauchschnitt konnten sie alles genau untersuchen. Alles sei wieder gut. Als Vorsichtsmaßnahme wurde jedoch meine Gallenblase entfernt. Ich sollte mich glücklich schätzen. Ich müsste doch super gelaunt sein. Aber die Muko zeigte sich in diesem Moment zum ersten Mal von ihrer fatalen Seite. Sie war nicht mehr nur in meinem Hinterkopf, nicht mehr eine kleine IV-Therapie zuhause, sondern eine greifbare Gefahr. Sie wurde für mich zum Damoklesschwert. Ich fürchtete mich davor, wann die Krankheit (wieder) zuschlagen würde und erstarrte. Diese Erfahrung hatte mich wahrlich traumatisiert. Ich mauerte mich ein und stürzte in eine Depression. Ich bekam Angst- und Panikattacken. Das Studium hatte ich danach faktisch aufgegeben.
2017 erlebtest Du dann einen ernsten gesundheitlichen Einbruch. Damals warst Du 32 Jahre alt. Wie hast Du diese Krise gemeistert?
2017 war tatsächlich ein sehr einschneidendes Jahr für mich, da die Krankheit nun leider wieder zuschlug. Ich hatte meine Therapie in dieser Zeit vernachlässigt. In den Jahren zuvor wurde meine Muko-Ambulanz in Bonn geschlossen, sodass ich mich nach einer neuen umschauen musste. Schnell konnte ich Ende 2016 eine neue Ambulanz finden. Leider fühlte ich mich dort überhaupt nicht wohl. Der behandelnde Arzt nahm sich kaum Zeit und fertigte mich in schnellster Zeit ab. Es wurden lediglich die Standardfragen, die jeder Muko kennt, abgehakt.
Ich kam mir vor wie auf einem Fließband. Gleichzeitig hatte ich immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde. Im September 2017 war es leider soweit. Ich saß eines Abends vor meinem Fernseher und musste leicht abhusten. Auf einmal wurde es ganz warm in meiner Brust und der Schleim fühlte sich so flüssig und wässrig an. „Super, endlich kommt was raus!“, dachte ich. Ich spuckte jedoch gefühlt eine ganze Tasse Blut aus. Niemand hatte mich darauf vorbereitet und ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm. Ich dachte, das war es nun. Jetzt kommt das Ende. Ich hatte eine Lungenblutung. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und geriet in Panik. Zum Glück stoppte die Blutung von alleine. Natürlich müssen diese Vorfälle immer nachts oder am Wochenende passieren. Ich konnte daher leider niemanden in der Ambulanz erreichen. Meine Sorge war, dass es wieder passieren könnte. Daher entschied ich mich für die Notfallaufnahme. Nachdem ich drei Stunden vergebens in der Notfallaufnahme wartete, ging ich wieder nach Hause.
Aufgrund dieser Erfahrung wollte ich die Ambulanz wechseln. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es eine Ambulanz in der Lungenklinik Köln-Merheim gibt. Ich hatte wirklich Glück, dass gerade ein Platz dort frei geworden war und meine jetzige Ärztin mich zu einem Gespräch einlud. Sie nahm sich wirklich Zeit für mich. Ich hatte das Gefühl, nicht bloß eine Akte auf ihrem Schreibtisch zu sein. Neben meiner Krankheitsgeschichte wollte sie auch mehr von mir selbst wissen und wie ich mit der Krankheit umgehe. Die Therapie änderte sie kaum, aber sie schaffte und schafft es auch heute noch, mir zu verdeutlichen, dass die Krankheit nicht als Feind anzusehen ist. Es gehört mehr dazu, den Patienten bloß zu sagen, holt den Schleim raus. In dieser Ambulanz verbesserte sich meine Lungenfunktion innerhalb kürzester Zeit schlagartig. Es besserte sich so gut, dass ich seit 2018 keine IV-Therapie mehr benötigte und sich meine Lungenfunktion stabilisierte.
War der Einbruch 2017 die Initialzündung dafür, etwas in Deinem Leben zu ändern?
Definitiv. Zum ersten Mal war die Krankheit nicht mehr etwas im Hinterkopf oder eine Benachteiligung, die mich von anderen unterschied, sondern eine echte Gefahr. Es musste sich etwas ändern. Ein „Weiter-so“ war von hier an nicht mehr möglich.
Von 2018 bis 2022 habe ich daher am Interventionsprogramm MUKOfit des Mukoviszidose e.V. teilgenommen. MUKOfit setzt sich zum Ziel, Menschen mit Mukoviszidose, die sich in einer schweren gesundheitlichen und / oder (psycho-) sozialen Situation befinden, zu helfen, den Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu finden.
Zunächst hatte ich keinerlei Kenntnis über dieses Programm. Meine Ärztin hatte es mir aufgrund meiner psychosozialen Situation empfohlen. Da sie sich immer sehr viel Zeit für mich nahm, bemerkten wir gemeinsam während meiner Behandlung, dass ich an meiner Einstellung zur Krankheit arbeiten müsste. Dass mich die Angst vor einem weiteren Einbruch lähmen würde. Sie stellte mir das Programm vor und teilte mir ihre Erfahrungen damit mit. Wir füllten gemeinsam einen Bogen aus und gingen dabei auf meine Herausforderungen und Wünsche ein. Ich brauchte u.a. Unterstützung bei der Compliance*, Sport, Studium und der Arbeit. Dazu stellten wir einen Aktionsplan zusammen.
Wenige Tage später begann das Programm. Meine beiden Interventionshelfer, Sven Hoffmann und Corinna Moos-Thiele, stellten sich bei mir vor und wir unterhielten uns sehr lange über meine Situation, meinen Krankheitsverlauf, meine Wünsche und Ängste. Beide hatten immer ein offenes Ohr und ich merkte, dass es nicht immer um die Krankheit gehen musste. Zu Beginn standen mein Studium und meine mangelnde Fitness im Vordergrund. Später kamen noch andere Themen hinzu, wo mir beide immer wieder zur Seite standen.
Das Programm begann im Sommer 2018. Ich merkte rasch, dass ich beiden viel anvertrauen konnte und sie auch auf meine individuelle Situation sehr viel Rücksicht nahmen. Die Erfolge waren zu Beginn kaum bemerkbar, doch das änderte sich zügig. Ich ging wieder regelmäßig zur Physiotherapie und ging abends spazieren. Ich habe meine Therapie morgens und abends durchgezogen, egal wie spät es auch war. Hauptsache meine Lunge war sauber. Im Frühjahr 2019 konnte ich mich endlich dank Frau Moos-Thiele’s Unterstützung in einem Fitnessstudio anmelden. Zu Beginn hatte ich leichte Panikattacken. Mir kamen immer wieder die Bilder hoch, wie ich Blut spucken musste. Ich realisierte mit der Zeit, dass diese Gedanken mit jedem Besuch im Studio immer weniger wurden. Die Angst immer kleiner wurde. Bei den wöchentlichen Gesprächen mit beiden haben wir immer die Fortschritte festgehalten und darauf geachtet, dass ich am Ball bleibe. Im September 2019 hatte ich einen neuen Job und pendelte regelmäßig mit dem Zug nach Köln. Bei meiner nächsten Lungenfunktionsuntersuchung hatte ich einen FeV1-Wert von 101%. Da war ich wirklich überrascht. Ende 2017 lag mein FEV1 noch bei 89%. Hier habe ich wirklich gespürt wie viel es bringt, wenn man ein geordnetes und erfülltes Leben nicht trotz, sondern mit der Krankheit führt. Ja, es kostete immer noch Zeit, aber es ging mir so viel besser.
Seit 2021 ist das hochwirksame Wirkstoffpräparat ETI (Handelsname Kaftrio) auf dem Markt, welches vielen Betroffenen das Leben mit der Stoffwechselkrankheit immens erleichtert. Diejenigen, die davon profitieren, kriegen besser Luft und haben mehr Energie und dadurch oft mehr Lebensqualität. Du hast eine seltenere Mutationsform und kannst daher dieses Medikament nicht einnehmen. Wie wichtig ist Dir daher eine wohnortnahe flächendeckende ambulante Versorgung?
Meine Mutation ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, da ich nur eine milde Form der Krankheit habe, aber leider auch ein Fluch, da ich aufgrund dessen nicht mit Modulatoren behandelt werden kann. Die Chance auf Teilnahme an einer Studie hatte sich leider Anfang des Jahres 2022 zerschlagen. Ich stamme ursprünglich aus der Eifel und musste für die Untersuchungen Fahrten von insgesamt (Hin/Zurück) 150 km auf mich nehmen. Die Schließung meiner Ambulanz im Jahr 2015 führte dazu, dass sich mein Krankheitsverlauf verschlechterte. Auch ist mir in den letzten Jahren deutlich geworden, dass es immer weniger Physiotherapeuten/Physiotherapeutinnen gibt, die Mukos behandeln. Sieht man die derzeitige Entwicklung im Lichte der Modulatorentherapie, dann erscheint dies als logische Konsequenz. Warum eine teure Ausbildung machen, wenn die Patienten immer weniger werden? Für Patienten wie mich, die nicht von den Modulatoren profitieren, ist eine flächendeckende ambulante Versorgung nach wie vor essentiell.
Wie ist Dein Leben heute? Fällt es Dir schwer oder leicht, den Spagat zwischen Arbeit, Studium, Therapie und Ambulanzterminen in Köln-Merheim zu meistern? Was sind Deine Kraftquellen?
Heute lebe ich in Bonn und befinde mich in der Examensvorbereitung. Dieser Spagat zwischen Alltag, Examensvorbereitung, Arbeit und Bewegung stellt bereits für gesunde Menschen eine besondere Herausforderung dar. Ich konnte die Therapie bisher zum Glück, auch dank Homeoffice, sehr gut in meinen Alltag integrieren. Dank MUKOfit liegt meine letzte intravenöse Antibiotikatherapie in Köln-Merheim nun fünf Jahre zurück. Es gibt immer wieder Tage an denen läuft es besser, an anderen wieder schlechter. Ich habe aber realisiert, dass eine ordentliche Therapie einen Grundpfeiler darstellt.
Ich würde nicht von Kraftquellen sprechen, sondern von Routinen und Gewohnheiten. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, wie das Zähneputzen, die Therapie morgens zu starten. Denn wenn die Lunge morgens sauber ist, kann jeder Tag spielend gemeistert werden.
Du unterstützt den Mukoviszidose e.V. durch Deine Mitgliedschaft. Was würdest Du einem potentiellen Spender raten? Warum sollte er/sie die Arbeit des Vereins durch eine Spende unterstützen?
Die Spende hilft und unterstützt die Patienten effektiv. Ohne Spenden wäre ein Programm wie MUKOfit nicht möglich. Dieses Programm hat meinen Verlauf entscheidend zum Positiven gewandelt. Eine Spende kann daher tatsächlich das Leben vieler Betroffenen verbessern.
Lieber Markus, wir danken Dir für das Gespräch!
* Bereitschaft eines Patienten zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose