Die Lebenserwartung und Lebensqualität von Menschen mit Mukoviszidose (Cystische Fibrose/CF) hat sich aufgrund der Modulatortherapien verbessert. Diese Entwicklung hat in einigen Bereichen bereits zu einer veränderten Wahrnehmung der Erkrankung geführt. Im Frühjahr 2024 wurde von einer Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums Leipzig in Kooperation mit dem Bundesverband Mukoviszidose e.V. eine explorative Umfrage gestartet, die einen Teilaspekt dieser Situation beleuchtet. Die Arbeitsgruppe wollte herausfinden, ob die Verfügbarkeit und Wirkung der Modulatoren einen Einfluss auf die Familienplanung und die Inanspruchnahme pränataler Diagnostik von Eltern CF-betroffener Kinder haben. Die rückblickend erhobenen Ergebnisse können helfen, anhand echter Erfahrungswerte die Grundlage für Entscheidungsprozesse bei der genetischen Beratung im Rahmen der Familienplanung von Genträger:innen besser zu verstehen.
Eine Befragung dieser Art seit Einführung der Modulatortherapie ist im deutschsprachigen Raum bisher einmalig. Über 450 Personen haben sich an der Befragung beteiligt und haben mit ihren offenen Antworten und persönlichen Erfahrungen ein differenziertes Bild zu diesem besonderen Thema gezeichnet. Die große Bereitschaft zur Teilnahme zeigt zum einen die hohe Relevanz des Themas und legt nahe, dass das Instrument einer anonymen Online-Befragung richtig gewählt wurde. Zum anderen zeigt es, wie ergiebig die Verbindung ist, die der Bundesverband zwischen Forschenden und der CF-Community herstellen kann.
Im Interview sprechen wir mit den beiden Forscherinnen Simone Ahting, Wissenschaftliche Doktorandin, und Julia Hentschel, Laborleiterin der Molekulargenetik, die das Projekt initiiert und durchgeführt haben und mit Stefan Reinsch, Kinderarzt und Medizinethnologe, der das Projekt-Team im Auswertungsprozess für die medizin-ethischen Dimensionen der Thematik ergänzt. Erste Ergebnisse der Befragung wurden bereits im Juni 2024 auf der europäischen CF-Fachtagung (ECFC) in einem Plenarvortrag vorgestellt.
Format: Online-Fragebogen (anonym)
Laufzeit: 01.03.-10.04.2024
Zielgruppe: Eltern von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit CF
Ansprache: E-Mailversand
Verteiler: Mitglieder des Bundesverbands Mukoviszidose e.V., die der Zielgruppe entsprechen (insgesamt 1.905 E-Mailadressen)
Rücklauf: 476 abgeschlossene Fragebögen
Simone Ahting: Die Idee kam auf, als Julia Anfang 2024 eingeladen wurde, zum Thema pränatale Entscheidungen bei CF auf der europäischen CF-Fachtagung (ECFC) in Glasgow zu sprechen. Dabei ist uns aufgefallen, dass es zu diesem Thema noch sehr wenig Forschung in Deutschland gibt, weshalb wir gerne als Vorbereitung zur ECFC eine Umfrage machen wollten, um genau solche Daten zu erheben.
Julia Hentschel: Zunächst wollten wir tatsächlich humangenetische Berater:innen befragen, allerdings ist es zumindest bei uns so, dass die Familien eher bei den Kinderärzt:innen angebunden sind und es dort wenig Raum für solche Gespräche gibt. Da der Mukoviszidose e.V. ein tolles Netzwerk für die Familien hat und wir mit einer anderen Umfrage zum Thema Therapielast bereits sehr gute Erfahrungen gemacht haben, hatten wir große Hoffnung, darüber wieder viele Menschen erreichen zu können.
Simone Ahting: Das Format war einfacher hinsichtlich der Durchführbarkeit und Erreichbarkeit so vieler Eltern, andererseits erleichterte uns die digitale Erhebung die Auswertung. Dass die Umfrage anonym sein sollte, war von Anfang an klar, da sich dieses doch sehr schwierige und persönliche Thema so vielleicht leichter abfragen lässt, wenn die Teilnehmer:innen wissen, dass ihre Daten anonym bleiben. Gefragt haben wir neben grundlegenden Daten zu den Kindern mit CF (Alter, Modulatortherapie-Einnahme) nach der Einstellung zur pränatalen Diagnostik sowie nach der Einstellung bezüglich eines Schwangerschaftsabbruchs, sollte diese pränatale Diagnostik positiv ausfallen und jeweils nach den Gründen. Außerdem haben wir gefragt, ob die Eltern sich vor Einführung der Modulatortherapie anders entschieden hätten.
Julia Hentschel: Grundsätzlich spiegelte die Umfrage nochmal wider, dass die meisten Menschen mit Mukoviszidose inzwischen Zugang zu einem Modulator haben und darunter eine erhebliche Verbesserung von Symptomen und Lebensqualität erfahren. Gleichzeitig gaben 50 % der Familien an, dass sie im Falle einer erneuten Schwangerschaft keine Pränataldiagnostik bzgl. einer CF-Erkrankung durchführen lassen würden, hauptsächlich, weil es keine Auswirkungen auf die Schwangerschaft hätte und CF als eine Erkrankung mit guter Prognose und guten Behandlungsoptionen angesehen wird. Die zweite Hälfte gab an, eine Pränataldiagnostik durchführen zu lassen, jedoch vor allem unter dem Aspekt der frühzeitigen Diagnosestellung und möglichst frühem Therapiebeginn. 30 % würden sich für eine Beendigung der Schwangerschaft entscheiden, die Hälfte dieser Familien kann sich aber mit dem Blick auf die Verbesserungen durch die Modulatoren vorstellen, diese Entscheidung zu überdenken.
Julia Hentschel: Ich war überwältigt von der Anzahl der Rückmeldungen.
Simone Ahting: Wir sind sehr dankbar, dass so viele Menschen das Bedürfnis hatten, uns in den Freitextmöglichkeiten nochmal ausführlich Einblick in ihre Familien, Gedanken und Probleme zu geben. Diese werten wir aktuell noch aus. Ich fand spannend, dass es ein sehr bunt gemischtes Feld aus Meinungen und Einstellungen gibt. Ja, es gibt die Eltern, die tatsächlich sagen, dass sie wegen der Modulatortherapie nun anders entscheiden würde, aber das Meinungsfeld bezüglich pränataler Diagnostik/Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor bunt gemischt, mit großen Gruppen auf beiden Seiten, sowie vielen unterschiedlichen wichtigen und teils auch persönlichen Begründungen.
Stefan Reinsch: Schwangerschaft und Elternschaft bedeutet für Menschen, eine möglicherweise lebenslange Verantwortung einzugehen. Jede/r Zehnte der Teilnehmer:innen der Umfrage hat ein zweites Kind mit CF bekommen. D.h. einige der Eltern haben ihre Entscheidung für ein Kind auch vor dem Hintergrund der gelebten Erfahrung der Verantwortung für ein Kind mit CF gemacht. Wir finden wichtig, die Erfahrungen und Abwägungen dieser Menschen sichtbar zu machen. Gerade in Deutschland mit seiner Geschichte der Eugenik und der oft hitzig geführten Debatte zur Pränataldiagnostik. Dafür wollen wir weitergehende Interviews mit dieser Gruppe von Eltern führen, um die Entscheidungen zu kontextualisieren. Wir freuen uns über Eltern, die ihre Erfahrung mit uns teilen wollen (Kontakt s.u.).
Simone Ahting: Wir sind noch dabei, alle Daten aufzuarbeiten und möchten diese gerne einerseits qualitativ, andererseits quantitativ durchleuchten. Das bedeutet, wir möchten einmal feststellen, wie die Verteilung der Stimmungen/Einstellungen in der Elternpopulation generell zu diesem Thema ist, andererseits möchten wir uns intensiv mit den Freitextantworten auseinandersetzen, diese verstehen und daraus lernen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Antworten dergestalt in die genetische Beratung einfließen, als dass man Eltern, welche vor solch einer Entscheidung stehen, mit den Ergebnissen beruhigen kann. Es gibt hier keine „richtige“ oder „falsche“ Antwort und ein großes Feld von Menschen, die vor ähnlichen Entscheidungen bereits standen. Ich kann mir auch vorstellen, dass man Eltern diesen Artikel als Überlegungsstütze gibt, sollten sie vor einer solchen Entscheidung stehen. Prinzipiell muss und sollte die pränatale genetische Beratung aber weiterhin nicht direktiv verlaufen.
Julia Hentschel: Ich sehe uns hier vor allem in der Verantwortung, die dramatische Wende, die der Verlauf der CF-Erkrankung in den letzten zehn Jahren genommen hat, besser in die genetischen Ambulanzen zu transportieren. Wir als CF-Forschende und Genetiker sind da an einer entscheidenden Schnittstelle zwischen Diagnostik und Klinik und müssen dieses Wissen mit den Kolleg:innen in der genetischen Beratung teilen, damit Familien gut beraten werden können, vor allem solche, die vielleicht nicht durch ein eigenes Kind sondern durch eine auffällige Pränataldiagnostik zum ersten Mal mit der Erkrankung in Berührung kommen.
Simone Ahting und Julia Hentschel: Wir möchten noch einmal allen Menschen danken, die diese Umfrage erst möglich gemacht haben. Dazu zählt natürlich auch der Mukoviszidose e.V., der die Umfrage über seinen E-Mail-Verteiler erst möglich gemacht hat, aber vor allem alle Eltern, welche so fleißig, ehrlich und tief persönlich Einblick gewährt haben in ihre Gedanken!
Das Interview führte Anna-Lena Strehlow.
Haben Sie die Erfahrung gemacht und in einer erneuten Schwangerschaft eine pränatale Diagnostik in Anspruch genommen? Wie haben Sie darüber gedacht, wie sind Sie in Ihren Familien weiter verfahren? Melden Sie sich gerne für ein Interview mit uns und erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen unter stefan.reinsch(at)mhb-fontane.de oder telefonisch unter 017661538434
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