Frau Dr. Nährig, warum engagieren Sie sich im Programm MUKOfit?
Einige Patienten aus unserer Erwachsenenambulanz durften in den letzten Jahren an MUKOfit teilnehmen und haben sehr davon profitiert. Insofern kannte ich das MUKOfit-Team und die Art, wie es arbeitet. Als ich gefragt wurde, ob ich zusammen mit Frau Dr. Held (Hamburg) die beratende ärztliche Funktion übernehmen möchte, konnte ich auf Grund der positiven Vorerfahrungen nur „ja“ sagen.
Warum brauchen einzelne Patienten ein Programm wie MUKOfit?
Jeder Mensch kann unverschuldet in akute Schwierigkeiten kommen. Wenn man zusätzlich eine chronische Erkrankung hat, die z.B. die Arbeitsfähigkeit einschränkt, kann ein zusätzlich auftretendes Problem schnell zu weitreichenden Veränderungen führen. Leider hat nicht jeder Patient ein gut funktionierendes, unterstützendes soziales Umfeld. Die Probleme sind oft sehr komplex, und meistens auch nicht durch nur eine Person zu lösen. Häufig führen diese komplexen Probleme dann zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Es kommt dann zu einer Spirale, aus der sich der Patient alleine nicht mehr retten kann.
Kinder mit Mukoviszidose sind darauf angewiesen, dass die Eltern etliche Jahre die Verantwortung für die Durchführung der notwendigen Therapien, Besuche bei der Physiotherapie, Arztbesuche etc. übernehmen. Nicht alle Eltern können dies, teils durch eigene Überlastung, teils durch fehlende Kompetenzen. Durch die Aufnahme in das MUKOfit-Programm, das die Eltern unterstützt, bekommen dann die Kinder die Chance, als Jugendliche oder Erwachsene einen besseren körperlichen Zustand zu haben.
Bei Erwachsenen sind oft die sozialen Bedingungen so herausfordernd, dass eine große Gefahr für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes besteht. Wenn ein Patient z.B. arbeitslos geworden ist, seine Wohnung verliert und dann im Auto lebt, sind die Bedingungen für eine regelmäßige inhalative Therapie und gute Ernährung nicht mehr gegeben. Sich ohne Unterstützung aus solchen Situationen zu befreien, ist meistens unmöglich. Das MUKOfit-Team hat ausreichende medizinische Kenntnisse über die Erkrankung Mukoviszidose, um die Situation richtig einzuschätzen, was unbedingt erforderlich ist, um eine adäquate Unterstützung zu leisten.
Gibt es denn keine andere Möglichkeit, wie Menschen mit Mukoviszidose in schwierigen Lebenssituationen Hilfe erfahren können?
Ein Mensch mit Mukoviszidose, der einen eher milden Verlauf und unterstützende Angehörige oder Freunde in einem guten sozialen Umfeld hat, wird sich vermutlich in krisenhaften Situationen selber helfen können oder von Angehörigen ausreichend Unterstützung bekommen. Leider gibt es diesen „Idealzustand“ immer seltener. Kinder leben häufig in nicht mehr intakten Familien. Erwachsene sind zunehmend alleinstehend. Mit steigender Lebenserwartung sterben die Eltern der Patienten wieder vor den Betroffenen, d.h. es fehlt nicht nur der Partner, sondern auch die Eltern. Viele Patienten haben nach wie vor eine relevante körperliche Einschränkung. Da oft mehrere Probleme gleichzeitig bestehen, wissen die Eltern oder Betroffenen nicht, wo sie beginnen sollen. MUKOfit bietet Unterstützung in psychologischen und sozialrechtlichen Bereichen an, das Team vermittelt Kontakte zu Behörden, Institutionen und Einrichtungen. Aber MUKOfit kann auch bei der Durchführung einer regelmäßigen Therapie oder Aufnahme einer sportlichen Aktivität motivierend unterstützen. Die Unterstützung ist interdisziplinär und ganzheitlich, die Betreuer aus jeder „Fachdisziplin“ wissen von der Arbeit der anderen Betreuer. Die Unterstützung aus verschiedenen Bereichen liegt in einer Hand. Dieses Angebot ist aus meiner Sicht einzigartig. Leider ist der Bedarf viel höher, als das Team heute leisten kann. Und für die kommenden Jahren erwarten wir zudem einen Anstieg an Patienten, die dringend Unterstützung benötigen.
Wer darf alles bei MUKOfit mitmachen und wie kommt man in das Programm hinein?
Grundsätzlich steht das Programm allen Menschen mit Mukoviszidose offen, sofern sie neben den rein medizinischen Problemen noch in mindestens einem Bereich einen Unterstützungsbedarf haben und die betreuende Ambulanz nicht ausreichend Hilfestellung geben kann. Es kann entweder der Ambulanzarzt eine Aufnahme in MUKOfit vorschlagen, oder der Betroffene wendet sich an seinen Ambulanzarzt. Der Ambulanzarzt muss dann einen schriftlichen Antrag stellen, in dem die Problembereiche definiert und priorisiert werden, oft bringt das auch schon etwas Klarheit in die schwierige Situation. Die Aufnahme in das Programm muss dann in einer Besprechung im ganzen MUKOfit-Team befürwortet werden.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit dem MUKOfit-Team, anderen Behandlern, den Betroffenen sowie den Angehörigen?
Das MUKOfit-Team ist sehr erfahren und äußerst engagiert, die Teammitglieder arbeiten schon über Jahre zusammen. Die Zusammenarbeit ist sehr angenehm und zielorientiert, die Team-Besprechungen sind gut strukturiert und reflektierend. Das MUKOfit-Team kann viel näher am Patienten sein, als das in der Ambulanz der Fall ist. Die Team-Mitglieder schaffen es immer, einen vertrauensvollen Zugang zum Patienten zu bekommen. Mit manchen Patienten kommuniziert das MUKOfit-Team täglich, wenn es erforderlich ist. Für die Betroffenen sind die Mitglieder vom MUKOfit-Team über einen längeren Zeitraum der erste Ansprechpartner. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, bei dem die Zusammenarbeit zwischen Betroffenem, MUKOfit und dem Ambulanzteam nicht funktioniert hat.
Was macht MUKOfit besonders?
MUKOfit steht den Patienten in schwierigen Lebenssituationen akut bei. Aber das eigentliche Ziel ist es, den Patienten soweit zu unterstützen, dass er sich nach einiger Zeit wieder selbst helfen kann. Die Unterstützung erfolgt langfristig, wenn es erforderlich ist auch über Jahre. Die Unterstützung wird immer wieder in Rücksprache mit dem Patienten und dem behandelnden Ambulanzteam individuell angepasst. Aber das Ziel ist immer, dass der Patient sein Leben, seine Verhaltensmuster, seine Situation dahingehend ändert, dass er wieder selbstständig seine Dinge regeln kann. Hilfe zur Selbsthilfe ist das Motto von vielen Organisationen. Bei MUKOfit geschieht diese Hilfe zur Selbsthilfe auf einem hochprofessionellen, sehr spezialisierten Niveau in ganz verschiedenen Bereichen.
Wie ist die Rückmeldung der Teilnehmenden?
Die Betroffenen sind natürlich sehr froh über die Unterstützung, auch wenn es nicht immer verbal ausgedrückt wird. Es sind langfristige Prozesse. Sein Verhalten zu ändern, z.B. eine sportliche Aktivität fest in den Alltag einzubauen, fällt jedem schwer und verursacht nicht nur gute Laune. Wenn es jemand dann aber geschafft hat, z.B. 3 x/Woche Sport zu machen und er Verbesserungen in der Leistungsfähigkeit feststellt, ist die Freude und der Stolz natürlich groß. Die schönste Rückmeldung ist eigentlich, wenn sich Betroffener und MUKOfit einig sind, dass die vereinbarten Ziele erreicht sind und der Patient aus MUKOfit „entlassen“ werden kann, d.h. wenn auch der Patient zustimmt, dass er keine Unterstützung mehr braucht.
Wie würde es teilnehmenden Patienten ergehen, wenn es MUKOfit plötzlich nicht mehr gibt?
Den aktuell unterstützten Patienten würde ihr Rettungsanker weggenommen, es bestünde große Gefahr, dass sie verzweifeln und sich die Gesundheit des Kindes oder Erwachsenen verschlechtern würde. Wie würde man sich selber fühlen, wenn eine Person, die einen immer unterstützt, motiviert und beraten hat, die immer als Ansprechpartner zur Verfügung stand, plötzlich wegfällt?
Warum würden Sie empfehlen, den Mukoviszidose e.V. mit einer Spende zu unterstützen?
Mukoviszidose ist angeboren, die Betroffenen können nichts für ihre Erkrankung. Sie haben neben dem ganz normalen Leben jeden Tag eine zusätzliche Last durch die Erkrankung. Durch die CFTR-Modulatoren haben viele Patienten die Chance für einen besseren Verlauf bekommen. Kinder können ohne strukturelle Lungenschädigung aufwachsen, und somit werden Erwachsene mit besseren Lungenfunktionen besser und länger arbeiten können. Aber die Erkrankung ist NICHT geheilt, und nicht alle Patienten sind berechtigt, die neuen CFTR-Modulatoren verschrieben zu bekommen. Es bestehen weiterhin eine Vielzahl an Komplikationen, in allen Altersgruppen. Jeder Euro unterstützt direkt und indirekt die Betroffenen und trägt zu einer Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit des Mukoviszidose e.V. bei.
Wie haben Sie den Mukoviszidose e.V. kennengelernt und warum ist er aus Ihrer Sicht so wichtig für die Mukoviszidose-Gemeinschaft?
Ich arbeite seit 23 Jahren in der Mukoviszidose-Ambulanz und kenne deshalb den Mukoviszidose e.V. schon seit 2002. Er vertritt primär die Interessen der Betroffenen und Angehörigen, aber er hat es auch geschafft, alle Behandlungsgruppen mit einzubeziehen. So findet immer ein reger Austausch zwischen Betroffenen und Behandlern statt, was unverzichtbar ist, um wirklich für die Patienten eine Verbesserung zu erreichen. Es gibt so vielfältige Strukturen im Mukoviszidose e.V., sie reichen von unmittelbarer Unterstützung von Patienten (z.B. finanziell, psychologisch) bis zur Unterstützung von medizinischen Leitlinien oder gesundheitspolitischer Arbeit, ich kann gar nicht alle Bereiche aufzählen, in dem der Mukoviszidose e.V. aktiv ist. Mukoviszidose ist eine seltene Erkrankung, es gibt in Deutschland etwas mehr als 8.000 Patienten. Als Betroffener oder Behandler kommt man sich schnell alleine vor, aber durch den Mukoviszidose e.V. wird alles zu einem großen Ganzen zusammengeführt, dessen Stimme national und international gehört wird.
Das Interview führte Frank Gundel.
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