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„Ein echter Durchbruch“ – Kaftrio aus Sicht von Prof. Dr. Marcus Mall von der Charité Berlin

Die Wirkstoffkombination Kaftrio – in den USA Trikafta genannt – steht kurz vor der Zulassung in Deutschland. Für viele Mukoviszidose-Patienten ist sie eine große Hoffnung. Studien zeigten vielversprechende Ergebnisse: Die Patienten mussten seltener ins Krankenhaus und auch die Lungenfunktion verbesserte sich in vielen Fällen deutlich. Wir haben mit Prof. Dr. Marcus Mall, Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, über seine Erfahrungen mit dem neuen Medikament gesprochen.

Prof. Dr. Marcus A Mall - Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie und Immunologie - Leitung
Prof. Dr. Marcus A. Mall – Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Behandeln Sie zurzeit schon Patienten mit der neuen Dreifachkombination Kaftrio, die in den USA „Trikafta“ heißt (im Rahmen von Studien, Härtefallprogrammen)?

Wir haben hier in Berlin an den Studien zu der neuen Dreifachtherapie teilgenommen, allerdings in der Phase-3-Studie mit dem anderen Wirkstoff, also mit VX-659 und nicht mit dem VX-445 (Elexacaftor, das einer der Wirkstoffe von Kaftrio ist). Jetzt behandeln wir schon seit einigen Monaten im Rahmen des Härtefallprogramms Patienten mit einer F508del-Mutation und einer sogenannten Minimal-Function-Mutation, in den letzten Wochen auch homozygote Patienten für F508del.

Wie sind Ihre Erfahrungen damit bislang?

In dem Härtefallprogramm erhalten ja Patienten mit einer fortgeschrittenen Lungenerkrankung das Medikament, die in der Regel von der Lungenfunktion und vom allgemeinen Gesundheitszustand her schlechter sind als die Patienten, die in den klinischen Studien eingeschlossen werden. Und trotzdem sehen wir durchschlagende klinische Verbesserungen auch bei der Lungenfunktion. Das Sputum, also der Schleim in der Lunge, ändert sich in seiner Beschaffenheit und kann besser abgehustet werden. Einige Patienten, die vorher sauerstoffbedürftig waren, brauchten nach Therapiebeginn keinen Sauerstoff mehr. Und die meisten Patienten berichten auch, dass sie wieder mehr Energie haben und viel aktiver sein können.

Bei den meisten Patienten haben wir vor und unter der Therapie Schweißtests gemacht. Dabei konnten wir beobachten, dass die Schweißtestwerte in den oberen Referenzbereich der Normalwerte abgefallen sind – das war auch in den klinischen Studien so. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen dafür, dass die CFTR-Funktion[1] mit diesem Medikament sehr effektiv aktiviert wird. Und das nicht nur in der Lunge, sondern überall im Körper, also auch in den Schweißdrüsen der Haut.

Sind Ihrer Erfahrung nach Nebenwirkungen zu erwarten?

Ich habe hierzu noch einmal in die Originalpublikation geschaut: Insgesamt gab es in der Gruppe derjenigen, die das Medikament bekommen haben, deutlich weniger unerwünschte Wirkungen (also Adverse Events), vor allem, was pulmonale Exazerbationen, Husten, Bluthusten oder Müdigkeit und Erschöpfung angeht. Es gab allerdings zwei unerwünschte Wirkungen etwas häufiger auf, und zwar Kopfschmerzen und Durchfall.

Diese Nebenwirkungen könnten allerdings durch eine Aktivierung der CFTR-Funktion zustande kommen. Die Kopfschmerzen könnten dadurch entstehen, dass plötzlich durch die Aktivierung der CFTR-Chlorid-Kanäle die Flüssigkeitssekretion in den Nasennebenhöhlen aktiviert wird, was zu Kopfschmerzen führen kann. Das haben wir übrigens auch schon bei Kalydeco bei Patienten mit einer G551D-Mutation beobachtet. CFTR ist darüber hinaus ja auch im Darm ein wichtiger Chlorid-Kanal, der für die Befeuchtung des Darminhalts und damit der Beschaffenheit des Stuhls verantwortlich ist. Der Durchfall könnte damit durch eine plötzliche Aktivierung von CFTR-vermittelter Flüssigkeitssekretion in den Darm zustande kommen, wie wir es auch von anderen Durchfallerkrankungen kennen.

Darüber hinaus wurde bei Kaftrio von einem Nebenwirkungsspektrum berichtet, wie wir es bereits von Kalydeco und Symkevi kennen: Bei einigen Patienten kommt es zu einer vorübergehenden Erhöhung der Leberwerte. Bei Kaftrio kommt noch ein dritter Wirkstoff hinzu und diese neue Dreifachtherapie wird noch nicht lange zur Behandlung bei Patienten eingesetzt. Aber nach allem, was wir bisher wissen, ist es ein gut verträgliches und sicheres Medikament mit Nebenwirkungen vergleichbar zu den bislang verfügbaren CFTR-Modulatoren.

Viele Patienten berichten davon, dass sie am Anfang ganz besonders müde sind, weil sie plötzlich so viel husten müssen. Ist das auch etwas, das Sie beobachten konnten?

Wir haben tatsächlich bei einigen Patienten beobachtet, dass sie am Anfang unglaublich viel Schleim aus der Lunge mobilisieren. Bei Mukoviszidose-Patienten ist ja oft der komplette Atemwegsbaum verschleimt, bis in die kleinsten Atemwege. Wenn sich jetzt dort plötzlich der ganze Schleim löst, kann das am Anfang auch zu einer gespürten stärkeren Verschleimung der oberen Atemwege führen. Und das haben wir bei einigen Patienten in der Tat auch beobachtet.

Wer kann von dem neuen Medikament jetzt schon profitieren – und wer vielleicht nicht?

Bisher geht es in Deutschland nur im Rahmen eines Härtefallprogramms. Mit der kürzlich erfolgten Positive Opinion der EMA[2] könnten zunächst Patienten profitieren, die homozygot für die häufigste Mutation F508del sind oder heterozygot für F508del und eine sogenannte Minimal-Function-Mutation. Bei der wird entweder gar kein CFTR gebildet oder es wird ein Molekül gebildet, das nicht auf diese Wirkstoffe anspricht.

Es wird im ersten Schritt noch keine Zulassung für Patienten mit sogenannten Gating-Mutationen (z.B. auch G551D) oder sogenannten Restfunktionsmutationen, die wir jetzt schon mit Symkevi behandeln können, geben. Für einige Restfunktionsmutationen gibt es mit Symkevi bereits eine zugelassene Therapie. Es laufen zurzeit Studien, ob es für Patienten mit F508del in Kombination mit einer Gating-Mutation oder einer Restfunktionsmutation einen Zusatznutzen durch die Therapie mit der Dreifachkombination gibt. Ich denke, die EMA möchte diese Studie noch abwarten. Die Perspektive ist meiner Ansicht nach aber gut, dass Kaftrio nach Abschluss dieser Studie auch für diese Patienten zugelassen wird.

Eine wichtige Gruppe, für die Kaftrio nicht infrage kommt, sind Patienten, die keine F508del-Mutation haben. Wir gehen davon aus, dass das immerhin 10 bis 15 Prozent der Betroffenen in Deutschland sind. Diese Patienten werden wir also auch mit der Zulassung von Kaftrio noch nicht mit CFTR-Modulatoren behandeln können.

Wäre eine frühe Therapie mit Kaftrio nicht besonders sinnvoll?

Sie fragen jetzt einen Kinderpneumologen und der sagt Ihnen: Auf alle Fälle. Wir gehen davon aus, dass man mit dieser Dreifachtherapie die CFTR-Funktion auf etwa 50 Prozent der Funktion bei Gesunden aktivieren kann. Im Vergleich dazu: Mit Orkambi kann man etwa 10 bis 20 Prozent aktivieren und damit bei Kindern schon eine erhebliche Verbesserung und Stabilisierung erreichen. Ich könnte mir daher gut vorstellen, dass die mit Kaftrio erreichbare Korrektur – ich sage es jetzt einmal vorsichtig – bei einem ganz frühen Therapiebeginn, wenn die Lunge noch nicht geschädigt ist, schon ausreichen könnte, die Entstehung von chronischen Schäden deutlich hinauszuzögern, möglicherweise sogar zu verhindern.

Um das umzusetzen, müsste man aber ganz früh mit der Therapie beginnen, also im Kleinkind-, idealerweise sogar im Säuglingsalter. Die klinischen Studien zu Kindern laufen schon. Ich denke, es wird noch ein paar Jahre dauern, aber dann haben wir die Möglichkeit, durch präventive Therapie die Entstehung von irreversiblen Lungenschäden zu verzögern oder zu verhindern. Damit können wir die Prognose für die Erkrankten deutlich verbessern.

Das gilt allerdings zunächst für die Lunge, von der wir wissen, dass sie bei der Geburt normal entwickelt ist. Es gibt aber einige Organe, die schon vor der Geburt im Mutterleib geschädigt werden, zum Beispiel die Bauchspeicheldrüse. Hier gibt es jetzt für Kalydeco bei Säuglingen und Kleinkindern die ersten Hinweise, dass es durch eine sehr frühe Therapie möglicherweise auch gelingt, die Funktion der Bauchspeicheldrüse zu erhalten.

Ich beschäftige mich jetzt seit 25 Jahren in der Klinik und in der Forschung mit der Mukoviszidose und das ist wirklich ein Durchbruch. Wenn Sie mich vor zehn Jahren gefragt hätten, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es jemals möglich sein wird, die aufgrund der F508del-Mutation fehlgefalteten Chlorid-Kanäle durch pharmakologische Wirkstoffe so gut und effektiv zu korrigieren. 

Was bedeutet das neue Medikament für die Mukoviszidose-Therapie Ihrer Ansicht nach? Sollte die symptomatische Therapie weitergeführt werden?

Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Im Moment ist die Empfehlung ganz klar, die symptomatische Therapie weiterzuführen. Wenn man die Therapie zurücknimmt, sollte man das nur kontrolliert und in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt tun.

Es gibt jetzt schon erste klinische Studien, die genau diese Frage untersuchen, ob man unter Kaftrio-Therapie symptomatische Therapien wie die Inhalation mit hypertonem Kochsalz oder Pulmozyme weglassen kann. Diese Studien müssen wir auf jeden Fall abwarten.

Ich persönlich gehe davon aus, dass das auch sehr stark vom individuellen Krankheitszustand der Lunge abhängen wird. Bei einer chronisch geschädigten Lunge wird man trotz der sehr effektiven Modulator-Therapie weiterhin noch symptomatische Therapien brauchen. Das liegt daran, dass man in Bereichen, in denen die Lunge vernarbt ist, voraussichtlich keine CFTR-Chlorid-Kanäle mehr durch Medikamente anschalten kann. Dort sammelt sich dann weiter Schleim an, den man anders mobilisieren muss.

Wenn man die Therapie in Zukunft in einem sehr frühen Stadium beginnen kann, hat man möglicherweise eine Chance, dass man die symptomatische Therapie zurücknehmen kann. Im Moment ist aber ganz klar die Empfehlung, sie weiterzuführen und sie vor allem nicht unkontrolliert abzusetzen.

In einigen Medien wurde anlässlich der Zulassung in den USA von Heilung gesprochen – das trifft ja leider nicht zu. Können Sie uns erläutern, wo Sie die Grenzen des neuen Medikaments sehen?

Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Aus meiner Sicht ist es eine sehr effektive Therapie, die auch an dem Basisdefekt, nämlich an der Fehlfaltung der häufigsten Mutation F508del angreift, aber es ist keine Heilung. Das liegt daran, dass der Gendefekt durch diese Therapie nicht korrigiert wird. Die Betroffenen haben weiterhin den CF-Gendefekt, bilden weiterhin fehlgefaltete CFTR-Kanäle. Und nach wie vor bewirkt das Medikament keine komplette Korrektur, sondern eine Korrektur von etwa 50 Prozent der normalen CFTR-Funktion bei Gesunden.

Kaftrio ist also wirklich ein Durchbruch, wenn man sich anschaut, wie gut es funktioniert. Aber es gibt durchaus noch Potential, das weiter zu verbessern. Es könnte denkbar sein, dass es noch wirksamere Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen geben wird, mit denen es gelingt, die CFTR-Funktion komplett wiederherzustellen.

Und was bedeutet Kaftrio für Mukoviszidose-Patienten?

Es hängt ein bisschen vom Krankheitsstadium ab. Aber auf alle Fälle bedeutet es, dass wir die Mukoviszidose mit diesem Medikament wesentlich besser behandeln können. Ich gehe davon aus, dass uns ein früher Therapiebeginn in Zukunft ermöglichen wird, die Erkrankung von einer tödlichen Krankheit (im Sinn einer verkürzten Lebenserwartung) in eine behandelbare Erkrankung zu verwandeln, wie dies jetzt zum Beispiel schon bei Diabetes mellitus mit der Insulintherapie oder auch bei HIV der Fall ist. Dies bedeutet aber, lebenslang Medikamente zu nehmen, auch wenn man keine Krankheitssymptome hat.

Was können Sie den Betroffenen sagen, die nicht von Kaftrio profitieren? Gibt es andere vielversprechende Medikamente, die derzeit in der Pipeline sind? Was können wir in den nächsten Jahren erwarten?

Viele Patienten, die zu den 10 bis 15 Prozent der Patienten gehören, die nicht von Kaftrio profitieren können, haben sogenannte Stoppmutationen, auch Klasse-I-Mutationen genannt. Bei ihnen wird kein CFTR-Protein gebildet. Es gibt Ansätze, für diesen molekularen Defekt Medikamente zu entwickeln. Diese Entwicklung hat durchaus Chancen, zu einem vergleichbaren Durchbruch für Patienten mit diesen Mutationen zu kommen.

Andererseits gibt es auch eine ganze Reihe von Forschung und klinischen Studien zu Wirkstoffen, die nicht direkt an CFTR, sondern an anderen Ionenkanälen ansetzen. Dazu gehört der epitheliale Natriumkanal oder alternative Chlorid-Kanäle. Diese Wirkstoffe greifen also nicht direkt am Basisdefekt an, die pharmakologische Regulation dieser Kanäle kompensiert aber den Defekt im Salz-Wasser-Transport bei Mukoviszidose. Damit wären diese Wirkstoffe schon nah dran an den CFTR-Modulatoren, zumindest wesentlich näher als die bisherigen symptomatischen Therapien. Zu diesen Ansätzen laufen im Moment klinische Studien und wenn die erfolgreich sind, gibt es – aus meiner Sicht – in den nächsten drei bis fünf Jahren Medikamente, die nicht von der CFTR-Mutation abhängen. Von diesen Medikamenten könnte jeder Mukoviszidose-Patient unabhängig von der Mutation profitieren.

Schließlich ist es durchaus möglich, dass es noch weitere CFTR-Modulatoren geben wird, die möglicherweise auch noch andere Mutationen mit abdecken und bei Patienten ohne eine F508del Mutation wirksam sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Juliane Tiedt.

Weitere Informationen zu Kaftrio gibt es auf der Internetseite des Mukoviszidose e.V.


[1] Bei Mukoviszidose ist die Funktion des CFTR-Kanals in den Zellen gestört, so dass der Salz-Wasser-Austausch nicht richtig funktioniert.

[2] Mehr dazu auf der Internetseite des Mukoviszidose e.V.

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Zuletzt aktualisiert: 02.01.2024
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