„Willst du dir nicht mal ein paar Gedanken zur privaten Altersvorsoge machen?“
Diese Frage stellte mir mein Mann, damals noch Freund, vor rund 21 Jahren. Ich war 36 Jahre alt und wir waren als Paar erst relativ kurz zusammen. „Altersvorsoge? Die brauche ich nicht. So alt werde ich gar nicht“, antwortete ich. Diese Antwort war einfach so aus mir herausgerutscht. Am liebsten hätte ich sie sofort wieder zurückgenommen, aber dafür war es zu spät. Er wusste zwar in groben Zügen von meiner Mukoviszidose, aber von einer möglichen verkürzten Lebenserwartung hatte ich ihm bis zu dem Zeitpunkt nichts erzählt. Ich wollte ihn damit nicht belasten. Ich hatte Angst ihn zu verlieren, wenn er zu früh davon erfuhr. Er ist halt ein Schwabe, witzel ich heute über seine Frage und wir können gemeinsam darüber lachen. Damals war das allerdings nicht so lustig.
Zwischenzeitlich weiß er natürlich genau, auf wen er sich da eingelassen hat und er ist geblieben! Ich machte mir trotzdem keine Gedanken über eine private Altersvorsorge. Die Vorstellung, das Rentenalter doch erreichen zu können, erschien mir nach wie vor ziemlich abwegig. Irgendwie auch kein Wunder, denn ich wuchs in dem Bewusstsein auf, mit dieser Krankheit nicht besonders alt werden zu können. Sowas schüttelt man dann auch nicht einfach so ab. Bis ich mit Mitte 40 auf einmal heftiges „Muffensausen“ bekam. Was wäre, fragte ich mich, wenn ich vielleicht doch das Rentenalter erreichen und in Altersarmut enden könnte? Dieser Gedanke verschaffte mir viele schlaflose Nächte - meine jahrelange diesbezügliche Sorglosigkeit war dahin. In manchen Phasen meines Lebens hatte ich meine Mukoviszidose beinahe vergessen, zumindest lebte ich so, als gäbe es sie nicht – auch wenn mich meine Tabletten, die vielen Arztbesuche, Therapien etc. natürlich ständig an sie erinnerten. Ich war eine gute Verdrängerin und ich wollte vor allem eins: LEBEN! Getreu meines Mottos „Ich hau mein Geld lieber auf den Kopf und erlebe etwas, anstatt zu sparen“, machte ich in meinem Leben alles, was mir richtig und wichtig erschien. Wozu auch nur einen Cent sparen, wenn ich letztlich gar nichts mehr davon hätte. Ich konnte ja nicht ahnen, tatsächlich in die Nähe des Rentenalters zu kommen.
Meinen Schwaben hatte ich zwischenzeitlich geheiratet und ganz dem Klischee entsprechend kann er gut mit Geld umgehen. Wir berieten und entwickelten eine gemeinsame Strategie für mich, wie ich am besten privat fürs Alter vorsorgen könnte. Ich arbeite ganztags, und kann durchaus etwas fürs Alter investieren. Ich muss schon zugeben, dass ich deutlich entspannter schlafe, seitdem ich diesen Punkt für mich angegangen bin. Uns ist dabei aber immer wichtig, dass wir neben dem Sparen auch genügend Mittel haben, um unser Leben zu genießen und zu gestalten.
Meine Oma hatte immer gesagt, dass die Zeit viel schneller rennt, je älter man wird. Und Älterwerden wäre nichts für Feiglinge. Und jetzt bin ich tatsächlich schon 57 und ich spüre genau das am eigenen Leib. Ich werde alt und muss mir eingestehen, dass ich das manchmal gar nicht so gut finde. Früher fragte ich mich immer, warum Menschen Probleme mit dem Älterwerden, vor allem mit dem Älteraussehen, hätten, ich würde da auf jeden Fall drüber stehen. Heute merke ich, ganz so einfach ist das auch wieder nicht. Wahrscheinlich hatte ich in meinen jüngeren Jahren deshalb kein Problem mit der Vorstellung, weil ich ja irgendwo in meinem Hinterkopf abgespeichert hatte, ohnehin nicht so alt zu werden. Und jetzt habe ich den Salat…
Mich überraschten kurz vor meinem 50sten Geburtstag erste Wechseljahrbeschwerden. Schweißausbrüche in den unpassendsten Momenten, Stimmungsschwankungen, einsetzende Bindegewebsschwächen und so weiter und so fort. Ich fühlte mich zum ersten Mal richtig alt. Für mich als Mukoviszidose-Betroffene ein ziemlich irritierendes Gefühl. Neben den immer sichtbarer werdenden Zeichen des „Altersverfalls“ – graue Haare, Krähenfüße um die Augen, Falten im Allgemeinen und dem nicht mehr ganz so frischen Teint – gesellen sich weitere gesundheitliche Probleme hinzu. Die Muskelkraft lässt deutlich nach, ich bin viel schneller aus der Puste, obwohl ich immer noch regelmäßig Tanz- und Pilatestraining mache, nach längeren Spaziergängen tun mir die Füße weh (weshalb ich seit Neustem schicke Kompressionssocken trage), Osteoporose, teilweise extreme Schmerzen in den Hüftgelenken, schnellere Erschöpfung, Brain Fog, Gelenkschmerzen in den Schultern, Fußgelenken, in den Händen, ein Steifheitsgefühl vor allem in den Füßen, Knien und Fingern und und und.
Manchmal weiß ich tatsächlich nicht so genau, wie ich morgens aus dem Bett kommen soll und stakse mit steifen Knie- und Fußgelenken ins Bad und kann meine steifen Finger erst nach einer gewissen Aufwärmphase wieder schmerzfrei bewegen. Gelenkschmerzen kenne ich zwar schon länger und sie sind ja auch nicht untypisch bei Mukoviszidose, aber die jetzigen Schmerzen haben da noch einmal eine ganz andere Qualität. Ich empfinde sie häufig als extrem einschränkend und ich denke, dass ich demnächst einen Rheumatologen aufsuchen sollte. Auch meine Blutzuckereinstellung bleibt eine ewige Herausforderung. Tja, meine Hochtonschwerhörigkeit, die mit 37 Jahren in das Notwendig werden von Hörgeräten gipfelte, macht es irgendwie auch nicht besser. Ehrlich gesagt hatte ich bis dahin Hörgeräte eher mit alten Menschen in Verbindung gebracht. Und dann brauchte ich plötzlich selber welche… In der Eingewöhnungszeit, ich musste das Hören erst wieder lernen, fühlte ich mich eine Zeitlang um mindestens zehn Jahre gealtert, aber immerhin kann ich seitdem wieder halbwegs gut hören. Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Krebsvorsorge eine immer wichtigere Rolle ein.
Jammern gehört zum Glück nicht zu meinen herausragenden Charaktereigenschaften und im Vergleich zu anderen Betroffenen geht es mir ja auch noch relativ gut. Insofern bin ich ausgesprochen dankbar dafür, überhaupt so alt geworden zu sein. Glücklicherweise hat mir die Einnahme von Kaftrio/Kalydeco (seit August 2020) einen gehörigen Energieschub verpasst und erleichtert mir mein Therapiemanagement um einiges. Die damit einhergehende Zeitersparnis kann ich direkt für die Behandlung meiner „Altersgebrechen“ einsetzen – win win also. Aber machen wir uns nichts vor, Mukoviszidose bleibt eine Erkrankung mit vielen Unbekannten und sie bleibt unheilbar. Allerdings schreitet die Entwicklung von neuen Medikamenten und Therapiemöglichkeiten dankenswerterweise immer weiter fort, so dass die jetzt Neugeborenen mit Mukoviszidose deutlich bessere Start- und Entwicklungschancen haben werden, als es noch Ende der 1960iger Jahre der Fall war.
Von den Mukoviszidose-Ambulanzen würde ich mir wünschen, dass sie neben der Mukoviszidose auch die „Altersgebrechen“ mehr in den Blick nehmen. Diese werden meiner Meinung nach zukünftig zwangsläufig die Mukoviszidose-Behandlung (mit-)beeinflussen.
Im Oktober 2025 werde ich hoffentlich mein 40jähriges Dienstjubiläum feiern können. Meine Güte, die Zeit rennt wirklich unvorstellbar schnell. Plötzlich finde ich mich im gefühlt letzten Drittel meines Lebens wieder. Aber wenn ich so zurückschaue bin ich manchmal überrascht, was ich bereits in meinem Leben alles erreicht habe. Ich durfte so viele Erfahrungen sammeln. Ich habe mich meinen Ängsten und Herausforderungen gestellt und sie überwunden (z.B. mich von meinem ersten Mann getrennt…). Mutig habe ich mir ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben kreiert (z.B. nach meiner ersten Berufsausbildung eine Tanzpädagoginnenausbildung gewagt, mit 36 Jahren noch einmal studiert…). Ich habe für meine Ziele gekämpft und viel ausprobiert. Manches hat geklappt, manches nicht, egal. Mukoviszidose hat mich jedenfalls nie klein gekriegt, ich habe immer alles aus meinem Leben herausgeholt. Mit anderen Worten, ich darf zu Recht stolz auf mein Erreichtes sein!
Seit Neustem ertappe ich mich immer mal wieder dabei, dass ich schon ein paar Überlegungen für mein Rentnerinnendasein anstelle und hoffe und wünsche mir, dass es danach noch ein Leben geben wird. Aber bis dahin ist es ja noch ein wenig Zeit. Ich habe mir vorgenommen, egal was passiert und was bald möglicherweise nicht mehr so gut funktioniert, möglichst nur auf das zu schauen, was dennoch machbar ist. Mit offenen Augen werde ich durchs Leben gehen und mich überraschen lassen von den Dingen, die das Leben weiterhin für mich bereithält. Jede einzelne Minute werde ich mit meinem geliebten Schwaben genießen. Ich bin froh und dankbar, dass er immer hinter mir steht, mich so sein lässt, wie ich bin, alle meine Ideen mitträgt, egal wie verrückt sie manchmal scheinen, und mich tatkräftig unterstützt. Mit ihm möchte ich richtig alt werden und tattergreisig Händchen halten – bis zum letzten Atemzug.
Simona (CF, 57 Jahre)
Simona Köhler, Jahrgang 1967, eine lebenserfahrene Mukoviszidose-Betroffene, lebt mit ihrem Mann in Pinneberg. Sie wurde u.a. zur Tanzpädagogin ausgebildet und unterrichtete viele Jahre Tanz. Nach dem Verwaltungsstudium arbeitet sie heute in der Hamburger Kulturbehörde als Referentin für Kinder- und Jugendkulturprojekte. Seit ihrem 18. Lebensjahr engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen mit Mukoviszidose.
Wie das Tanzen ist auch das Schreiben für sie eine Möglichkeit, unklaren Gefühlen zu begegnen oder den Kopf wieder frei zu bekommen. Mit ihren Texten möchte sie ihre Erfahrungen im Umgang mit Mukoviszidose weitergeben. Zunehmend setzt sie sich in ihren Texten kritisch mit „Ableismus“ auseinander, um für dieses Thema zu sensibilisieren.
Auf Instagram findet Ihr Simona unter @simonatanzt.
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