Das mit der Liebe ist ja schon bei gesunden Menschen so eine Sache, aber für Menschen mit chronischen Erkrankungen kann es noch komplizierter werden. Vor allem, wenn man eine fortschreitende und nicht heilbare Erkrankung namens Mukoviszidose hat. In meinem 57-jährigen Leben habe ich ein paar Beziehungserfahrungen sammeln dürfen – gute wie schlechte.
Ich glaube, nahezu jeder Mensch sehnt sich nach Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Nähe. Mein Bedürfnis nach einem Herzmenschen war bei mir schon früh ziemlich ausgeprägt. Bereits mit 16 Jahren war mein Ziel, den Mann fürs Leben zu finden, zu heiraten, Kinder zu kriegen und glücklich bis ans Ende unserer Tage zu leben. In mir tickte eine Art Zeitbombe, denn damals lag die Lebenserwartung bei rund 20 Jahren. Da blieb mir also nicht so wahnsinnig viel Zeit, meinen größten Wunsch in die Tat umzusetzen. Und tatsächlich lernte ich meine erste große Liebe mit 17 Jahren kennen. Sofort stand dann auch das Thema im Raum, wie, wann und wie viel erzähle ich ihm von meiner Mukoviszidose bzw. erwähne ich es überhaupt? Die ersten Monate habe ich ihm kaum etwas erzählt. Die Tabletten habe ich heimlich oder gar nicht eingenommen, die Hustenanfälle mit einer chronischen Bronchitis begründet, alles andere ging ihn nichts an, fand ich. Vor allem hatte ich Angst, dass er mich sofort verlassen würde, wenn er das ganze Ausmaß der Erkrankung erfuhr. Als ich mit 18 den insulinpflichtigen Muko-Diabetes dazu bekam, erzählte ich ihm mehr darüber. Er hatte mich zwar nicht verlassen, aber es interessierte ihn auch nicht wirklich, er nahm es teilnahmslos hin. Wir heirateten sogar, da war ich 23. Lange Geschichte, kurzes Ende, ich trennte mich mit 25 von ihm und reichte die Scheidung ein. Ich beschloss, niemals wieder in meinem Leben zu heiraten. Soweit die Theorie. Was mich damals sehr verletzt hatte, waren einige Reaktionen aus meinem Familienumfeld, als wir unsere Trennung bekannt gaben. Ich solle doch froh sein, überhaupt einen Mann abbekommen zu haben. Dich nimmt doch jetzt keiner mehr. Was sollen jetzt die Nachbarn von uns denken usw. Das kommentiere ich jetzt nicht weiter…
Es begann meine Zeit des Umbruchs. Ich hängte beispielsweise meinen Verwaltungsberuf an den Nagel, absolvierte eine Tanzpädagoginnenausbildung und befreite mich nach und nach aus den Erwartungen und Zwängen der anderen, wie ich als Kranke zu leben hätte. Beziehungstechnisch wurde es turbulent. Die Männer die ich toll fand, waren entweder vergeben oder wollten mich nicht, die mich toll fanden wollte ich nicht, waren beziehungsunfähig oder sie wollten mich anders haben, als ich nun mal bin. Eine ziemliche Achterbahn der Gefühle. Irgendwann beschloss ich, lieber alleine zu bleiben. Die Herren der Schöpfung konnten mir zu dem Zeitpunkt einfach mal den Buckel runterrutschen.
Und dann, man ahnt es bereits, kam alles anders. Vor über 21 Jahren lernte ich Anfang Mai 2003 meinen Herzmenschen und jetzigen Ehemann kennen. Auf einer Ü-30-Party! Ja, man kann dort tatsächlich seiner großen Liebe begegnen – und ja, ich habe tatsächlich noch einmal geheiratet. Aber auch hier stellte sich mir wieder die Frage, wann der richtige Zeitpunkt wäre, ihm von meinen Krankheiten zu erzählen. Die Kurzversion erzählte ich ihm sofort, die mögliche Gesamtdramatik nicht. Allerdings war ich etwas unter Zeitdruck, denn ich würde am 22. Mai in der Johannes B. Kerner-Show sitzen und über Mukoviszidose berichten. Sollte ich ihm nichts von der Sendung erzählen und darauf hoffen, dass er sie nicht sehen würde? Und was, wenn doch? Dann würde er mich dort ziemlich unvorbereitet sehen und sich dann vermutlich hintergangen fühlen. Oder sollte ich es so lancieren, dass wir die Sendung ganz „zufällig“ gemeinsam anschauten und er es dann auf diesem Wege erfuhr? Aber das fühlte sich nicht richtig an und ich beschloss, ihm detaillierter von der Mukoviszidose zu erzählen und von meinem Auftritt in der Fernsehshow. Er hörte mir ruhig zu, nahm mich einfach in die Arme und sagte: „Ich liebe dich so, wie du bist.“
Damit ist er der erste Mann, der die ganze Simona so will, wie sie ist – mit allen Ecken und Kanten plus meine drei chronischen Erkrankungen. Er will mich nicht verändern. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Er steht zu 100% hinter mir, egal, welche Ideen und Vorhaben ich mir mal wieder in den Kopf setze. Er ist mein bester Freund. Wir können uns streiten, ohne uns zu verletzen. Wir vertrauen uns gegenseitig. Er unterstützt mich, wo er kann. Er ist mein Fels in der Brandung. Wir können so unglaublich gut zusammen lachen, das Leben genießen und einfach sein. Wir sind Seelenverwandte.
Und er hat mich vor einer schweren Depression bewahrt, die mich aufgrund ewiger Streitereien in meiner Familie immer tiefer in einen Abwärtsstrudel gerissen hatte. Meine Familie verstand leider nie, warum ich gerade wegen meiner Erkrankungen mein Leben so selbstbestimmt lebe, wie ich es tue. Sie bezeichnen mich als egoistisch und undankbar. Sie können bis heute nicht verstehen, warum mich ein Mann mit meinen Krankheiten überhaupt genommen hat. Er hat sich schützend vor mich gestellt, ohne wenn und aber. Er hat mich gerettet, mich immer wieder ermutigt, dass mein Weg der Richtige ist. Ich bin davon überzeugt, dass ich ohne ihn den Glauben an mich verloren hätte. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.
Ich liebe meinen Mann und ich bin unfassbar glücklich, dass es ihn gibt! Nur das mit dem Kinderkriegen hat leider nie geklappt, aber wir haben auch ohne Kinder ein sehr erfülltes, lebenswertes Leben.
Simona
Simona Köhler, Jahrgang 1967, eine lebenserfahrene Mukoviszidose-Betroffene, lebt mit ihrem Mann in Pinneberg. Sie wurde u.a. zur Tanzpädagogin ausgebildet und unterrichtete viele Jahre Tanz. Nach dem Verwaltungsstudium arbeitet sie heute in der Hamburger Kulturbehörde als Referentin für Kinder- und Jugendkulturprojekte. Seit ihrem 18. Lebensjahr engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen mit Mukoviszidose.
Wie das Tanzen ist auch das Schreiben für sie eine Möglichkeit, unklaren Gefühlen zu begegnen oder den Kopf wieder frei zu bekommen. Mit ihren Texten möchte sie ihre Erfahrungen im Umgang mit Mukoviszidose weitergeben. Zunehmend setzt sie sich in ihren Texten kritisch mit „Ableismus“ auseinander, um für dieses Thema zu sensibilisieren.
Auf Instagram findet Ihr Simona unter @simonatanzt.
"Ich hatte immer die Angst im Hinterkopf, wann die Krankheit wieder zuschlagen würde"
Am Ende kam die Liebe, um zu bleiben
#mukomama: Meine Herausforderungen und Erkenntnisse als Mama mit Mukoviszidose
Antworten
Liebe Simona, gerade habe ich deine Geschichte gelesen und mich begeistert es das du dein Leben so gestaltest wie du es möchtest! Ich selber bin 65 und habe die Diagnose erst seit 5 Jahren! Ich blicke auf Jahre zurück, die von Krankheit und Zuversicht geprägt sind! Bald gehe ich in Rente und schaue was ich dann machen werde! Alles erdenklich Gute von Waltraud aus der kleinen Seefahrerstadt Elsfleth