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Eine Psychotherapie half mir aus einer heftigen Krise

Regelmäßig berichtet Simona, 58, hier auf unserem Blog von ihrem Leben mit Mukoviszidose. Heute geht es um ein sensibles Thema. Denn Simona merkte irgendwann, dass es nicht mehr weiter ging. Daher machte sie eine Psychotherapie, die ihr half, aus der Krise wieder herauszukommen.

Vor einigen Jahren gab es den einen Moment, an dem ich einfach nicht mehr konnte:

Ich saß im Büro und brach scheinbar ohne Grund in Tränen aus. Ich fühlte mich so müde und ausgelaugt, so perspektivlos und voller Selbstzweifel. Schon länger hatte ich das Gefühl, auf meinen gesundheitlichen, aber vor allem psychischen Abgrund, zuzutreiben. 

Starker Druck von außen führt zu Problemen

Zu der Zeit gab es massiven Druck im Büro von einem Vorgesetzten, der ein Workaholic war und die gleiche Arbeitseinstellung von seinen Mitarbeitenden erwartete. Er wusste natürlich von meinen chronischen Krankheiten und meinem entsprechenden Therapieaufwand, aber emphatisch war er deshalb noch lange nicht. 

Das viel größere Problem gab es allerdings mit meiner Familie (Eltern, Schwester). Hier schwelten schon seit Jahrzehnten Streitigkeiten, die aus meiner Sicht immer absurder wurden. Es hatte sich eine für mich extrem belastende Familiendynamik entwickelt, die sich immer mehr und mehr gegen mich richtete und drohte, mich endgültig in den Abgrund zu ziehen. Ich versuche einmal, diese komplexen Probleme sehr verkürzt zu schildern. 

Probleme mit der eigenen Familie

Meine Eltern lebten in der Überzeugung, dass ich mit meiner Mukoviszidose das Erwachsenenalter nicht erleben würde. Anfang der 1970er Jahre wurde die Lebenserwartung mit rund 15 Jahren prognostiziert. Die Informationen über diese Krankheit waren dürftig und am Ende des Tages mussten meine Eltern mehr oder weniger alleine klarkommen. Leider wählten sie das Schweigen, die Mukoviszidose wurde von vornherein unter den Teppich gekehrt. Selbst meine näheren Verwandten wie Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins wussten nichts von meiner schweren Erkrankung. Auch mir war bis zum 13. Lebensjahr nicht klar, was ich habe. Immerzu hatte ich eine diffuse Angst, weil ich anders war als die anderen Kinder, ohne es einordnen zu können. Ich hatte das Gefühl, selber schuld daran zu sein, dass mein Körper nicht funktionierte, dass mich andere Kinder deshalb hänselten, dass ich Schwierigkeiten hatte, Freundschaften zu schließen.

Mukoviszidose wurde verschwiegen

Als ich vom Ausmaß meiner Krankheit erfuhr, war es ein großer Schock. Ich fühlte mich um meine Zukunft betrogen. Ich war wütend auf meine Eltern, weil sie mich lange im Unklaren gelassen hatten. Keine Erklärungen, zu den Krankenhausaufenthalten, den vielen Medikamente, den Inhalationen, den therapeutischen Maßnahmen, den regelmäßigen Arztbesuche. Das Schlimmste aber war, dass ich selbst dann nicht mit meinen Eltern darüber sprechen konnte, als ich wusste, was ich hatte. Sie wichen meinen Fragen aus, sie relativierten meine Ängste und Sorgen. Das endete immer häufiger in Streitereien. Während meiner Pubertät beschloss ich, statt mich der Erkrankung zu ergeben, jetzt erst recht zu leben. Was hatte ich schon zu verlieren, dann lieber so viel Leben rausholen, wie es irgendwie ging. Das stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe meiner Familie und der Ton wurde rauer und unfairer mir gegenüber.  

Schon meine ersten zaghaften Versuche, mein Leben selbstbestimmt zu gestalten, wurde argwöhnisch betrachtet, es wurde immer versucht, mir bestimmte Dinge auszureden, ich wurde als egoistisch und undankbar beschimpft und meine Mukoviszidose musste immer wieder als Grund herhalten, warum ich irgendetwas nicht tun sollte, nur das ich das ganz genau umgekehrt sah. Ein paar Beispiele:

  • Ich wollte nach der Grundschule mindestens zur Realschule – Reaktion meiner Eltern: Das schaffst du nicht, dafür bist du viel zu krank.
  • Ich reichte die Scheidung von meinem ersten Mann ein – Was sollen die Nachbarn von uns denken, wie willst du denn einen anderen Mann finden, du kannst froh sein, überhaupt einen abbekommen zu haben, mit deiner Krankheit. 
  • Ich ließ mich von der Behörde beurlauben, um meine Tanzpädagoginnenausbildung zu machen – Das schaffst du nie, du bist viel zu krank dafür. Warum kannst du nicht zufrieden sein, mit dem was du hast.
  • Ich hatte das Bewerbungsverfahren für das Studium des gehobenen Dienstes in der Behörde bestanden – Den Studienplatz hast du doch nur bekommen, weil du als Schwerbehinderte bevorzugt wirst. 
  • Ich heiratete ein zweites Mal – Du musst ja wissen was du tust, aber wenigstens müssen wir die Hochzeitsfeier nicht bezahlen.

Dann kam der Zusammenbruch

Nach dem Zusammenbruch im Büro machte ich zunächst eine fünfwöchige psychosomatische Reha und begann danach eine rund einjährige Psychotherapie. Schon in den ersten Gesprächen fragte mich der Psychologe, ob ich mir eigentlich schon eine eigene innere Erlaubnis erteilt hätte, mein Leben zu leben, egal was meine Familie und andere dazu meinten oder ob sie es für gut oder für falsch befänden? Spontan behauptete ich, dass ich das selbstverständlich getan hätte, aber stimmte das wirklich? 

Diese Therapie war wie ein Augenöffner und schüttelte mich und meine bisherigen Überzeugungen heftig durch. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass sie letztlich lebensrettend für mich war. 

Lebensrettende Psychotherapie

In weiteren Sitzungen schauten wir uns meine Familienprobleme an und versuchten herauszubekommen, welche Dynamik sich dahinter verbarg. Dafür nutzten wir auch die Methode einer Familienaufstellung, allerdings nicht mit echten Menschen, sondern mit stellvertretenden Figuren. Die Erkenntnisse waren teilweise hart, aber sie klärten gleichzeitig auch vieles. Die zum Teil jahrzehntelangen Schuldgefühle, das Gefühl, lebensunwert zu sein, undefinierbare Ängste oder das ständige Bedürfnis, es allen beweisen zu müssen, um als gleichwertig anerkannt zu werden, schwelten permanent in mir. Bis daraus ein lichterloh brennendes Notfeuer wurde!            

Im Laufe meiner Therapie erkannte ich, dass ich mir bisher keineswegs die innere Erlaubnis gegeben hatte, mein Leben zu leben, meine Lebensleistung zu achten und dafür einzustehen, geschweige denn mich von meiner Familie tatsächlich abzunabeln und mich verantwortungsvoll mir selbst gegenüber zu verhalten. Genau genommen hatte ich mich die ganze Zeit immer noch wie ein bedürftiges Kind verhalten, was um Liebe und Anerkennung ihrer Eltern rang. Ihnen gegenüber verhielt ich mich viel zu oft wie die brave Tochter, die durch ihre Leistungen glänzen, ihnen alles recht machen und gelobt werden wollte. Das war keineswegs ein erwachsenes, souveränes Auftreten auf Augenhöhe! Unterbewusst war es mir offenbar immer wichtig, dass sie sich für mein Leben interessierten. Insofern agierte ich gar nicht so frei, unabhängig oder selbständig, wie ich bisher annahm. 

Während meiner Therapie wurde mir klar, dass mein Egoismus ein gesunder ist und keiner der nur dazu dient, ohne Rücksichtnahme auf andere, ausschließlich meine persönlichen Interessen zu verfolgen. Gerade als chronisch Erkrankte benötige ich eine gesunde Portion Egoismus, weil ich mich schon krankheitsbedingt viel mehr um mich selbst kümmern muss! Ich habe überhaupt keine andere Wahl! Mein Therapeut bestärkte mich darin, dass ich eine gute Balance zwischen meinen eigenen Bedürfnissen und denen anderer gefunden hatte. Diese Erkenntnis erleichterte mich, denn ich verstand, dass der mir unterstellte rücksichtslose Egoismus ein Problem der anderen beschrieb und nicht meines war.

Familienmuster erkennen

Wir durchleuchteten meine ständigen Schuldgefühle gegenüber meiner Familie. Nach meinem Empfinden hatte ich ihnen viel Arbeit aufgrund meiner Mukoviszidose gemacht und meine Schwester war zumindest als Kind aus diesem Grunde zu kurz gekommen. Wir besprachen auch, dass meine Mutter häufig jammerte. Sie seien damals von allen alleine gelassen worden und es gab ja kaum Hilfsangebote. Dieses Gejammer wiederum hatte meine Schuldgefühle noch vergrößert. Hier war die Familienaufstellung ausgesprochen aufschlussreich, denn neben den Stellvertretern meiner Familie, stellte ich auch meine Mukoviszidose und mich selber auf. Das für mich verblüffende Ergebnis war, egal in welcher Form ich die Stellvertreter hin und her schob, der Fokus meiner Familie war nur auf meine Mukoviszidose gerichtet. Ich wurde überhaupt nicht beachtet. Als der Therapeut mich aufforderte, die Mukoviszidose aus der Aufstellung herauszunehmen und mich weit von der Familienszene zu entfernen, lagen alle Familienmitglieder plötzlich auf dem Boden. Als ich mir diese Szene anschaue, war ich völlig verblüfft. Was war da passiert? Er erklärte mir, dass ich meine Erkrankung an mich genommen hatte und sie nun an dem Ort sei, wo sie hingehörte, nämlich zu mir. Meine Familie klagte darüber am Boden liegend, fühlte sich davon überrumpelt und empörte sich, dass ich ihnen die Mukoviszidose weggenommen hatte. Er erklärte, dass sie die Erkrankung nun nicht mehr als Rechtfertigungsgrund nehmen konnten, bestimmte Dinge in ihrem Leben nicht getan zu haben oder nicht tun zu können – im Sinne von, sie können und konnten ja nichts anderes handeln, weil es in dieser Familie diese Krankheit gibt.

Der Fokus der Familie lag zu sehr auf der Mukoviszidose

Es war also die ganze Zeit gar nicht um mich als Person gegangen, sondern der gesamte Fokus meiner Familie hatte sich hauptsächlich auf meine Mukoviszidose konzentriert. Leider hatten sie keinen Weg für sich gefunden, irgendwann wieder autonom zu leben und sich ein Stück weit auch wieder unabhängig von meiner Erkrankung zu machen. Und dann kam ich daher, todkrank, oder besser gesagt laut Statistik eigentlich schon tot, und gestaltete mein Leben trotzdem so, wie ich es für richtig hielt. Das wirkte für sie wie ein Affront, insofern versuchten sie, mich immer wieder in das Familiensystem zurückzuholen, indem sie mich zum Beispiel als eine eigensüchtige Egoistin betitelten. Diese Prozesse und Verhaltensweisen laufen natürlich unbewusst ab. Deshalb führten alle meine Klärungsgespräche auch ins Nichts, denn sie hatten mich gar nicht verstanden. Das war wie ein Befreiungsschlag. Die Kernaussagen, dass ich nicht schuld bin, dass ich richtig bin wie ich bin und leben darf wie ich möchte, waren und sind Balsam für meine Seele. Mit diesem Wissen war ich nach und nach in der Lage, mein eigenes Verhalten zu reflektieren, es zu verändern und verantwortungsbewusst und erwachsen zu handeln. Ich musste nicht mehr die brave Tochter sein, die um Anerkennung ringt, ich kannte jetzt ja meinen eigenen Wert.

Appell: Früh professionelle Hilfe holen

Mir ist an dieser Stelle wichtig zu sagen, dass ich meine Familie nicht Anklage, verurteile und ihnen auch nicht die Schuld an diesen Familienproblemen gebe! Im Laufe meines Lebens, und auch im Rahmen meiner Selbsthilfetätigkeit, sah ich viele Familien aufgrund von Mukoviszidose oder anderen schweren Erkrankungen auseinanderbrechen. Die meisten von ihnen holten sich leider keine oder nicht rechtzeitig professionelle Hilfe und arbeiteten die Probleme, die mit einer so heftigen und lebenseinschneidenden Diagnose wie Mukoviszidose einhergehen, nicht auf. Insofern möchte ich gerne dafür appellieren, sich möglichst frühzeitig professionelle Hilfe zu holen. Das ist kein Zeichen von Schwäche oder gar ein Schuldeingeständnis! 

Simona

Über die Autorin

Simona Köhler, Jahrgang 1967, eine lebenserfahrene Mukoviszidose-Betroffene, lebt mit ihrem Mann in Pinneberg. Sie wurde u.a. zur Tanzpädagogin ausgebildet und unterrichtete viele Jahre Tanz. Nach dem Verwaltungsstudium arbeitet sie heute in der Hamburger Kulturbehörde als Referentin für Kinder- und Jugendkulturprojekte. Seit ihrem 18. Lebensjahr engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen mit Mukoviszidose. 

Wie das Tanzen ist auch das Schreiben für sie eine Möglichkeit, unklaren Gefühlen zu begegnen oder den Kopf wieder frei zu bekommen. Mit ihren Texten möchte sie ihre Erfahrungen im Umgang mit Mukoviszidose weitergeben. Zunehmend setzt sie sich in ihren Texten kritisch mit „Ableismus“ auseinander, um für dieses Thema zu sensibilisieren. 

Auf Instagram findet Ihr Simona unter @simonatanzt.

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Zuletzt aktualisiert: 04.03.2025